PROLOG

 

Als ich noch klein und unschuldig war, passierte das mit Maria.

 

 

Zu behaupten, dieses blonde,sehr sehr schöne Mädchen sei mit mir befreundet gewesen, wäre stark übertrieben. Freunde gab es nicht. Aber ich verehrte sie. Man konnte gar nicht anders, als sie zu lieben. Sie war voller Anmut, Schönheit und Lebensfreude, ihre Erscheinung kam der eines Engels gleich. Nie bekam irgendwer ein böses Wort von ihr zu hören, und sogar mir gegenüber zeigte sie sich (im Gegensatz zu den anderen Kindern) aufgeschlossen. Wo sie auch hinging, zog sie mit ihrem Strahlen eine ganze Schar Anhänger hinter sich her.

 

Es geschah in einer dieser Jugendherbergen - sie wurde krank. Als ich sie dort auf dem Hochbett liegen sah, erschrak ich: Die schwarzen Fühler der Unterwelt hatten sich bereits nach ihr ausgestreckt, was bedeutete... sie würden sie holen. Ich sprach mit unserer Gruppenleiterin: das Mädchen müsse in ein Krankenhaus, sagte ich, sonst würde sie bald sterben.

Pappelapapp. Meine Worte wischte man mit einer sie überflüssig machenden Geste fort. Ein ortsansässiger Allgemeinmediziner, erklärte man mir, sei bereits zu Rate gezogen worden: "... es ist nur eine Grippe, das wird schon wieder!" habe er gesagt und ein paar fiebersenkende Medikamente verordnet.

 

Eine Woche später war sie tot.

 

Dass ein Loch in ihrem Herzen gewesen war,1 hatte man erst viel zu spät erkannt. Als der Rettungshubschrauber zur Landung vor dem Schullandheim ansetzte, rannten alle Kinder aufgeregt hin.

<< Schau, schau, ein Hubschrauber, ein Hubschrauber! Er landet! Schau doch! Wie aufregend! >>

Traurig trottete ich hinterher.

<< Komm!! Kommt mit, das müssen wir uns ansehen! >>

Sie starb auf dem Weg ins Krankenhaus.

 

...

 

Jetzt bin ich groß. An meiner Wahrnehmung, die mich befähigt, Dinge zu sehen, die für andere unsichtbar sind, hat sich nichts geändert. Max sagt, das nennt man "Schizophrenie". Könnte ein Mensch dauerhaft zutreffend Dinge vorhersagen, nannte man das2 schizophren. Und Max ist Arzt! Der muss es ja wissen. Das, was ich da sehe, sei angeblich nicht real.

Da aber viele Dinge, die nicht jeder gleichermaßen sehen oder hören kann, dennoch existieren, muss ich widersprechen: Z.B. Radiowellen. Heute würde niemand die Behauptung aufstellen, es gäbe sie nicht, bloß weil man sie nicht anfassen kann. Wir wissen: Funkwellen kann man, sofern der Empfänger stimmt, hör,- und sichtbar machen! Was ursprünglich einmal wie Magie anmutete, fand am Ende die breite Akzeptanz der Masse.

 

Wieso geht man auch bei allen unerklärlichen Phänomenen wie...

- Fernwahrnehmung

- Telepathie

- in die Zukunft sehen

- der Wahrnehmung von Seelen Verstorbener

- "Röntgenblick"Phänomen (von begabten Heilern und Heilerinnen)

... wie selbstverständlich davon aus, dass all dies Wahnvorstellungen seien?3

Das Potential dieser Erkenntnisse löst Angst aus. Aber wovor?

Was,

-> wenn kein Verbrechen mehr verborgen werden kann

-> wenn alle mitbekommen, sobald jemand lügt oder betrügt

-> wenn globale Unglücke verhindert werden könnten

-> ändert es für uns, zu wissen, was nach dem Tod kommt?

-> wenn erfolgreiche Heiler und Mediziner sich austauschten, statt sich gegenseitig zu bekämpfen.

Was würde dann eigentlich aus dieser Welt werden?

 

Fernab jeglichen Glaubens kommt man diesen Dingen mittlerweile über den Umweg der Physik etwas auf die Spur. Wie auch bei der Entdeckung von Radio, Mikrowellen und Elektrizität brauchte das alles so seine Zeit. Aber: Auch in der Forschung gibt das liebe Geld die Richtung vor, und nicht, wie es eigentlich sein sollte, ,der Wunsch nach Erkenntnis. "Alle Probleme", so sagte mir eine Freundin einmal, "Alle Probleme dieser Welt lassen sich auf das kleine Wörtchen -Macht- zurückführen". So ist es. Und? Geld regiert die Welt.

Aufgrund besonderer Verbundenheit mit der Schöpfung wurde so manch ein

genialer Kopf auf unserem Planeten seiner Erkenntnisse oder seines Talentes wegen gesellschaftlich entrechtet und öffentlich diffamiert - bis dahin, wahlweise auf dem Scheiterhaufen4 zu landen oder ans Kreuz5 genagelt zu werden. Wozu das Ganze?! Fragt man sich hier unwillkürlich. Aus der Sicht eines Neiders aber, der hinter dem Brett, dass er sich vor den Kopf genagelt hat, nicht hervor zu blicken vermag, rechtfertigen Neid und Missgunst jedwedes Werk der Zerstörung.

 

Eigentlich hängt mir das Erzählen dieser Art Geschichten wirklich zum Hals heraus. Mich andauernd vor Menschen, die nicht verstehen und sich nicht vorstellen können, dass es mehr auf der Welt gibt als das, was man anfassen kann, rechtfertigen zu müssen, habe ich soo satt! Aus diesem Grund beschloss ich irgendwann, alles aufzuschreiben. Alles begann zum Zeitpunkt der Jahrtausendwende. Aber da war es so, dass ich mich schon gar nicht mehr erinnern konnte. Trauma, Verdrängung, Amnesie! Hatte ich jedoch ein Bierchen zu viel getrunken, fanden die Erinnerungen langsam, aber sicher wieder zu mir zurück. Ich fing damit an, sie auf in meiner Wohnung herumfliegenden Zetteln zu notieren. Die vollgeschriebenen Zettel wurden immer zahlreicher. Bald darauf erwarb ich kurzerhand einen alten, billigen, mit einem Intel Pentium II Prozessor ausgestatteten Computer, welcher für mich damals nur eine etwas bessere Schreibmaschine darstellte. Ein unterhaltsamer Nebeneffekt dieser Maschine war: man konnte damit ins Internet. Online zu sein war zu der Zeit noch mit viel technischem Aufwand verbunden und außerdem ziemlich abenteuerlich.

Immer wieder zog es mich Abends an den Platz an meiner tollen, neuen elektrischen Schreibmaschine. Wie ich es während meiner Kindheit schon getan hatte: Wenn mir etwas auf der Seele lag, vertraute ich es dem Papier an. War eines meiner Tagebücher vollgeschrieben, wurde es verbrannt und ein Neues gekauft.

Um mich zu erinnern, musste ich aber schon ein bisschen angesäuselt sein. Immer nur dann zu arbeiten, wenn ich betrunken war, hatte den entscheidenden Vorteil, mich am nächsten Morgen wieder an nichts mehr zu erinnern. Ein halbes Jahr später wurde ich plötzlich ganz neugierig. Was machte ich da eigentlich immer, abends, im besoffenen Kopf?

Ich las es mir durch.

Ein Nervenzusammenbruch erfolgte.

Die nicht durch Alkohol getrübte Erinnerung zog mir glatt den Boden unter den Füßen weg.

 

 

 

1(der sogenannte „Ductus Butalli“ hatte sich bei Ihr nach der Geburt nicht richtig geschlossen)

2 (selbst dann, wenn das Prophezeite genau so eintrifft)

3 (abgesehen davon, dass sie es auch sein können, bei manchen Menschen)

4 (da kommen die Frauen hin)

5 (der Platz ist reserviert für die Männer)



Datenschutzerklärung
powered by Beepworld