11. freier Fall
Vor lauter Wut über ihr Verhalten schmiss er sie kurzerhand aus der gemeinsamen Wohnung. Danach machte er sich auf den Weg zu mir. Hätte sie doch mal auf mich gehört und nur genau das ausgerichtet, was ich ihr aufgetragen hatte... dann wäre es gar nicht so weit gekommen. So erreichte sie mit ihrem Verhalten aber nur, dass er sich unnötig Sorgen machte. Ich hatte mich lediglich gefragt, ob das, was in der Postkarte gestanden hatte, wirklich seinem Gefühlen entsprach. Als er zwei Stunden später eintraf, war ich darüber sehr froh. Nun würde alles, was wir einander noch zu sagen hatten, persönlich besprochen werden können. Selbst dann, wenn es einen Abschied bedeutete, war mir das lieber. Eine Postkarte zu schicken erschien mir ein bisschen armselig.
Zuerst wollte ich ihn mit einem leisen Hallo begrüßen. War ein Umarmen überhaupt noch erlaubt? Unentschlossen ging ich auf ihn zu. Kaum, dass ich Luft geholt, sagte er:
<< Pack deine Sachen. Wir gehen. >>
Er wollte mich mitnehmen!? Der Held, der, hoch zu Ross, seine Angebetete aus dem von grässlichen Monstern bewachten Turm rettete, in den sie von ihren Eltern eingesperrt worden war? Mich mit in seine Burg und hernach zur Frau zu nehmen? Bei dieser Vorstellung wäre ich vor lauter Glück beinahe geplatzt. Gleichzeitig machte sich angesichts dieser Entschlussfreudigkeit Verwirrung breit. Waren seine vielen aufeinander folgenden, übereilt wirkenden Entscheidungen nicht etwas, das hinterfragt werden sollte? Nachdenklich sah ich ihn an. Erst durften wir uns nicht mehr sehen und dann wollte er mich plötzlich mitnehmen? Ja, was denn nun? Der Moment war so lang ersehnt, dass ich nicht wagte, ihn durch meine Zweifel zu demolieren. Endlich war es soweit! Ich tat, wie mir geheißen. Dazu meldete ich mich offiziell in der Klinik ab.1 Wir fuhren zu ihm.
Die Sache war mir von Anfang an nicht geheuer. Wie konnte man seine eigene Familie einfach vor die Tür setzen? Das ging doch nicht! Tat ein anständiger Mensch so etwas? Und, weil nicht, war er dann nicht unanständig? Und, wenn ja (weil ja), wie war zu bewerten, dass ich dabei mitmachte? Eigentlich wollte ich mich bei unserem Neuanfang nicht in Räumen aufhalten, in denen wir ununterbrochen mit seiner Vergangenheit konfrontiert wurden. Damit hatte ich ein Problem. Außerdem war es ein starkes Stück, Frau und Kind einfach vor die Türe zu setzen, um den eigenen Interessen zu frönen. Das war nicht in Ordnung. Bei der Vorstellung fühlte ich mich nicht wohl.
In die Psychiatrie zurück wollte ich aber auch nicht!
Als ich ihn darauf ansprach, sagte er:
<< Die hat total reiche Eltern, mach dir mal keine Gedanken. >>
<< Eeecht ...? >> fragte ich zögernd (und heimlich daran herum zweifelnd, ob ich ihm das als Argument wirklich durchgehen lassen sollte).
<< Ja. Na klar! Da ist sie doch sofort hin gerannt, so wie sie es immer tut. Zumindest dann, wenn es Probleme gibt. Das hat sie schon öfter so gemacht. Da kann sie immer hinkommen. Die haben sogar ein eigenes Zimmer für sie! Also..., fühl dich hier mal wie zu Hause und mach dir nicht dauernd irgendwelche Gedanken. >>
Seine Stimme klang genervt. Das Thema war für ihn erledigt.
Zumindest tat ich ihm den Gefallen, es wenigstens zu versuchen. Aber es wollte mir einfach nicht gelingen. Er dachte dabei offensichtlich nur an sich selbst. Trotzdem stellte er ihr gegenüber ein theatralischen Mitleid zur Schau. Wie sich herausstellte, hatten die beiden ein ausgeprägtes Talent dafür, Situationen zu inszenieren, in denen sie alles Mögliche emotional-dramatisch auf und ab wallen ließen. Damit das Drama einen Sinn erhielt, war Publikum erforderlich. Auch ich erhielt in diesem Schauspiel eine Rolle: die An-was-auch-immer/am-besten-gleich-an-allem-Schuldige. "Schuld" war meine Aufgabe. Vollkommen egal, worum es gerade ging, ich war immer und überall an allem Schuld. Wenn es gerade keine Schuld an irgendetwas zu verteilen und keine Probleme zum Wälzen gab, erfand man einfach neue.
Umständlich erklärte ich ihm, dass ein Verhalten wie das ihre während einer Trennung ganz normal sei. Wenn er es sich vielleicht nicht ganz so zu Herzen nähme, käme sie auch schneller darüber hinweg. Vermutlich wollte er es aber gar nicht anders haben als ganz genau so. Die Inszenierung von Dramen entpuppte sich als Lieblingsbeschäftigung - das waren die Dübel, in welchen seine lockeren Schrauben hielten. Damit ergaben die Showeffekte, derer er sich bediente, auf einmal einen tieferen Sinn: Hatte er genügend Menschen um sich geschart, denen er für alles die Schuld in die Schuhe schieben konnte, fiel nicht weiter auf, was für einen Schaden er hatte. Dabei kam ich ihm scheinbar gerade recht. In einem Tohuwabohu wie diesem konnte er unter dem Deckmäntelchen des: die schrecklichen Umstände sind Schuld (zwingen mich, mich so zu verhalten) seine labile Natur gut verbergen. Er wollte ausrasten. Immerzu suchte er Gründe, sich bescheuert aufzuführen. Wenn er gerade keinen hatte, strickte er sich einen. Hauptsache: Dampf ablassen.
Eine emotional ausgeglichene Beziehung, auf die man sich stützen und ein Partner, auf den man sich verlassen konnte, das alles wäre für seine Zwecke denkbar ungeeignet gewesen.2 Erst sehr viel später sollte ich erfahren, dass er diese Nummer,3 regelmäßig durchzog. Um Drama zu spielen, verließ er immer wieder seine Frau. Nachdem sich alle unter einander und miteinander ausgetobt hatten, kehrte er reumütig wieder zu ihr zurück.4 Hierfür wählte er ganz gezielt Frauen aus, die labil waren und über keinen starken sozialen Rückhalt verfügten.
Laut Anordnung der Ärzte, die sich in meiner Abwesenheit sehr unwohl fühlten und deshalb fast Amok liefen, sollte ich regelmäßig in eine sogenannte "Tagesklinik" kommen. Was zwar eine tägliche Autofahrt von zwei Stunden für mich bedeutete, aber man bestand darauf. Der Klinikrubel muss schließlich auch rollen. Ohne Patienten tut er es nicht. Wollte ich morgens das Haus verlassen, reagierte mein Freund5 mit Panik-Attacken. Auf keinen Fall durfte ich ihn mit seinem ganzen Kummer und der tollwütig Schaum-schiebenden Existenzangst alleine lassen. Er setzte mich sehr unter Druck, damit ich morgens stundenlang mit ihm im Bett liegen blieb, obwohl ich eigentlich sehr viele lieber brav meine Termine wahrgenommen hätte. Wir lagen dann einfach nur so da. Ich durfte nicht aufstehen! Ouh, Mann... Hilfeschreie, selbst wenn man nur mal zum Klo musste:
<< Lass mich nicht allein!!! >>> Quiek.
Wie konnte er bloß den ganzen Tag herumliegen? Das machte mich rasend! Tausendundeine Ausreden mussten herhalten, mein häufiges Fernbleiben in der Tagesklinik zu entschuldigen. Ob ein wahrheitsgemäßes "mein Freund hat mich gebeten, ihn nicht alleine lassen" ausreichen würde? Nachdem ich in genau dieser Klinik bei einer Selbstmordandrohung seinerseits bereits keine Unterstützung erhalten hatte? Daran hatte ich so meine Zweifel. Also musste, um glaubwürdig zu sein, alles an mir liegen. Ich war hier das Problem, das hatte ich schon gelernt. Und ein anderes gab es nicht.
Obwohl fieberfrei und an ständige Atemwegerkrankungen von Kindheitsbeinen an gewöhnt, nahm ich eine Bronchitis zum Anlass, angeblich nicht zur Tagesklinik fahren zu können. Die wenigen Tage, an denen ich es wirklich schaffte, hinzufahren, litt ich unter großen Angstzuständen. Es machte es mich wahnsinnig, nicht zu wissen, was zu Hause los war. Ob er sich wieder etwas antun würde? Welchen Unsinn er sich jetzt wohl gerade ausdachte? Konnte ich nicht auf ihn Acht geben, zappelte mein Radar. Das in der Klinik zu thematisieren, war nicht drin, denn: dass er Probleme hatte - interessierte hier keinen. Probleme zu haben, war nur mir offiziell gestattet.
Über die Schwierigkeiten, die andere Menschen hatten,6 zu reden, ging über den eng gesteckten Rahmen dessen, was erlaubt war, hinaus. Warum war das Leben bloß immer so kompliziert!, fluchte ich vor mich hin, während ich meine Mandalas ausmalte. Die Arbeitsschemata von Tageskliniken sind, wie ich bei der Gelegenheit herausfand, an die von Kindergärten angelehnt, da die Teilnehmer zu mehr meist gar nicht in der Lage sind. Dort meine Zeit zu vertrödeln und nicht über die Probleme reden zu dürfen, welche leider nur indirekt meine eigenen waren, ergab für mich keinen Sinn. Ich ging also immer seltener hin. Tagesklink? Das war eine -wenn auch groß angelegte - Zeitverschwendung.
Als wir das erste Mal miteinander schliefen, ging es los. Woran genau es gelegen hat? Darf ich ehrlich sein? Ich habe keine Ahnung. Ich bin doch kein Psychiater! Ob es an den Testosteron-Injektionen lag, die er sich massenweise verabreichte, weil er unbedingt männlicher als ein Mann sein wollte, oder an der permanentes-Koma-Zustand-aufrecht-erhalten-Medikation, die er mit Unterstützung seines geliebten Hausarztes durchzog? Lexotanil, Remestan, Polamidon, Tramaal, u.v.m. Die Einnahme erfolgte in einer unkontrollierten, teils viel zu hohen Dosierung, bei welcher die Medikamente wahllos konsumiert wurden. Ob das zur Zurechnungsfähigkeit des zu betreuenden Patienten beitrug?
Er erzählte mir, einmal im Gefängnis gesessen zu haben. Warum genau, erfuhr ich nicht, wohl aber, dass in seiner Akte der Vermerk "unzurechnungsfähig" auftauchte. Als Bewährungsauflage habe er eine "Therapie" nachzuweisen gehabt, welche wiederum aus der Einnahme von eben jenen Medikamenten bestand. Meine Frage, ob sie denn halfen, beantwortete er mit einem Achselzucken. Das ganze Zeug wurde über horrend lange Zeiträume sowohl auf Kassen, als auch auf Privatrezepten von seinem Lieblingshausarzt verordnet. Er bekam ein Substitutionsmittel, welche Ex-Junkies dabei helfen sollen, über die erste Phase eines Entzugs leichter hinwegzukommen - dieses im Paket für eine Woche im Voraus. Da man um das Suchtverhalten solcher Menschen weiß, ist es gesetzlich vorgeschrieben, nur ein Fläschchen am Tag an Patienten herauszugeben. Und das auch nur unter der Voraussetzung eines regelmäßig durchgeführten Drogenscreenings.7
Lag es etwa an den Problemen, wie er selbst immer behauptete, den "Umständen", mit denen sein Leben ihn quälte? Wenn ja, hielt dieser Zustand bei ihm aber bereits ein Leben lang an. Wer psychisch krank ist, findet immer irgendwelche Ausreden für sein Verhalten. Natürlich impliziert dieses Szenario, dass man selbst jederzeit alles richtig gemacht hat, einem das böse Leben8 die Unvernunft von Außen über gestülpt und aufgezwungen. In dem Fall ist es nicht erforderlich, das eigene Handeln zu reflektieren.
Ein einfaches Prinzip: Hat man erst einen Schuldigen gefunden, scheint auch das Problem gelöst. Ursache und Wirkung? Wozu? Brauchen wir nicht. Alles, was zählt, ist, großzügig die Verantwortung um sich herum zu verteilen. Da "Schuld" aber nur eine fixe Idee ist, es diese eigentlich gar nicht gibt,9 muss sie hierzu eigens immer wieder neu erfunden werden.10 Haben wir erst einen Schuldigen gefunden, sind immer andere verantwortlich. Wie praktisch. Suchtverhalten ist selten rein körperlich. Da ein Medikamenten, Alkohol, oder Drogenmissbrauch ruhig zu stellen vermag, kompensiert er in der Regel die schlimmsten Symptome eine tiefer liegenden, psychischen Problematik. Insgesamt hilft der Missbrauch von Betäubungsmitteln, Substanzen oder anderen Stimulanzien aber nicht, denn: aufgeschoben ist bekanntlich nicht aufgehoben.11 Es kam mir so vor, als hielten sich in seinem Falle die Ärzte statt dessen nur die Augen zu, was ich für unverantwortlich hielt.
Wie ich bald feststellen würde, wechselten sich bei ihm unterschiedliche Persönlichkeiten ab. Jede von ihnen verfügte über eine andere Stimme und hatte ein eigenes Erscheinungsbild. Diese Wechsel gingen mit eindrucksvollen Anfällen einher, die das Ganze einzuleiten schienen. Wenn es soweit war, konnte man für einen Moment lang die Iris in seinen Augen nicht mehr erkennen, da sich bei diesem Vorgang die Pupillen sehr weiteten.12 Eine oder zwei von seinen "Mitbewohnern" waren liebenswert, andere wiederum ziemlich übel unterwegs. Mindestens eine seiner Persönlichkeit neigte zur Perversion und war bei dem, was sie tat, präzise und berechnend. Wichtig schien bei der Nummer, einen Opfer-Status vorweisen zu können, um sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung zu berufen. Penibel achtete er darauf, dass es nie Zeugen gab. Der Gefängnisaufenthalt hatte ihn gelehrt: Verbrechen sind nur erlaubt, wenn sie keiner sieht.
Wie ich heute weiß, ist der Fachbegriff für diese Art der Geistesgestörtheit "multiple" Identitätsstörung. Sie tritt häufig dann auf, wenn ein Mensch extreme Formen der Gewalt miterleben musste. Laut dem, was er mir über seine Kindheit erzählte, hatte er täglich um sein Leben fürchten müssen, welches von der Laune seiner drei sehr viel älteren Brüder abhing. Der Vater war früh gestorben. Nach dessen Tod war niemand mehr da, der ihn vor Übergriffen schützen. Sie prügelten und knechteten sie sogar die eigene Mutter. Was ich heute über diese Art psychischer Störung weiß, wusste ich damals noch nicht: Dass sich seine Persönlichkeiten untereinander beispielsweise gar nicht kannten, jede von ihnen eine andere Wahrnehmung und Erinnerung hatte, worüber kein interner Austausch stattfand. So konnte es vorkommen, dass der eine etwas tat, woran sich der andere nicht erinnerte. Der Mann, den ich liebte und der Mann, der mir zukünftig als potentieller Mörder begegnen würden, teilten sich ein und demselben Körper.
Wir hatten zum ersten Mal miteinander geschlafen. Danach lagen wir eine Weile erschöpft und relaxend nebeneinander. Eigentlich war mir alles ganz normal vorgekommen. Alles bis auf den Umstand, dass ich es als schön empfunden hatte. Das war eindeutig nicht normal, sondern etwas Besonderes. Sexualität war mir bisher meist als etwas Unangenehmes, schmerzhaft und ekelerregend begegnet. Also schien mir das, was ich nun mit ihm erlebt hatte, die Erfüllung zu sein. Das war, wovon ich immer geträumt hatte. Er musste einfach "der Richtige" sein. Und wenn er der Richtige war, war das, was ich hier tat, auch das Richtige. Ich kam mir sehr glücklich vor.
Einige Zeit später wuselte er sich aus dem Federbett heraus und setzte sich rittlings auf mich. Mich in eine bewegungsunfähige Position pressend, verpasste er mir eine Ohrfeige. Klatsch. Was sollte das denn werden? Ich fand seine Scherze nach wie vor ganz und gar unlustig, wollte darüber auch nicht lachen. Rhythmisch klatschte es in meinem Gesicht, erst links, dann noch einmal, diesmal rechts. Dann wieder links, danach, schneller werdend, rechts, links, rechts, links. Starr vor Staunen und langsam aufkeimenden Entsetzen ließ ich es ohne Gegenwehr geschehen. Das konnte nicht wahr sein. Nein. Mein Verstand streikte. Das durfte einfach nicht wahr sein.
Hallo?
STOP! EY!
<< Was soll denn das? Spinnst du? Lass das!!! >>
Er hört nicht auf. Ich bäumte mich auf. Nun ließ er von mir ab, setzte sich auf sein Kopfkissen und lehnte sich an die Wand.
Eine Zeit lang saß ich etwas derangiert herum. Im Innersten erschüttert, versuchte ich, irgendwie eins und eins zusammen zu zählen, was mir aber nicht gelang. Mein Körper zuckte. Plötzlich fing ich an, schallend zu lachen, gleichzeitig rannen dicke Krokodilstränen warm und nass meine Wangen hinunter. DAS sollte meine große Liebe sein? Was war passiert? Hatte dieser Mann mich, nachdem wir Liebe miteinander gemacht hatten, tatsächlich geschlagen? Sollte er etwa genau so sein wie meine Mutter? Jemand, der mich demütigte, wie es beliebte, verletzte, wenn ihm gerade danach war? Einer, der dieses an mir begangene Unrecht nicht einmal als solches erkannte? Na, das hatte ich, - hatte Gott, - hatte mein Schicksal mir aber fein ausgesucht. Was für eine Scheiße! Ich versuchte mir über die Situation klar zu werden. Meine Welt mochte ich übersichtlich, voller Klarheit und Prinzipien. Nun war sie unklar - was ein unbedingtes Eingreifen von mir erforderte. Das war der Mann, den ich liebte. Nein, noch mal von vorn: ... zu lieben glaubte. Das konnte nicht sein. Was hatte er gerade getan? Und was tat ich jetzt? Was sollte ich tun? Ich wusste es nicht, war überfordert und ratlos.
Er grinste? Worüber freute der sich? Ohne, dass ich darüber lange nachdenken musste, fiel meine Faust in sein Gesicht. Er verlor kurz das Bewusstsein, sein Kopf sackte nach hinten gegen die Wand, bevor er nach ein paar Sekunden wieder zu sich kam. Dabei habe ich gar nicht wirklich doll zugeschlagen! Nur, um zu zeigen, dass ich mir das nicht so ohne weiteres gefallen lassen würde. Von Niemandem!13 Nachdem ihn dieser so plötzliche Gegenangriff etwas überrascht hatte, sagte er mit einer tiefen und bedrohlichen Stimme:
<< Wenn ich Du wäre, würde ich jetzt die Beine in die Hand nehmen und ganz schnell zusehen, dass ich Land gewinne. >>
Ich sah ihm fest in die Augen und antwortete:
<< Nö..., denkst du etwa, ich hab Angst?! >>
Natürlich hätte ich die besser haben sollen. Er war sehr viel stärker als ich, außerdem gewalttätig. Zudem gab es hier gerade niemanden, der mir hätte helfen können. Aber mich vor ihm fürchten? Das sah ich nicht ein. Ich ließ ihn nicht aus den Augen. Nach einer weiteren dramatischen Schweigeminute seufzte er auf, erhob sich und ging ins Wohnzimmer, um sich vor den obligatorischen Fernseher zu setzen.14 Nach einer Weile stand ich auf und folgte, blieb aber hinter der Wohnzimmertür vor dem hell erleuchteten Aquarium stehen.
Die Vergangenheit hatte mich eingeholt. Auf emotionaler Ebene war ich wieder Kind. Irgendetwas in mir schien darauf zu warten, dass es ihm Leid tun, er sich bei mir entschuldigen, wenigstens versuchen würde, das, was er gerade getan hatte, wieder gut zu machen. Aber der Mann, den ich noch einen Moment zuvor so sehr geliebt hatte, war plötzlich zu einem Eisklotz geworden. Wie erstarrt saß er da. Das war gar kein Mensch, es war eine Statue - die nur zufällig aussah wie einer. Und ich? Mich gab es wieder nicht mehr. Woran das nur immer lag? War ich gar kein Mensch? Aber ich war doch real, fühlte mich real an? Ich unterdrückte den Impuls, mich selbst zu betasten - zu überprüfen, ob ich mich bereits in Luft aufgelöst hatte. Nein, ich war da! Stand ich nicht verletzt und unendlich traurig vor diesem Aquarium, das da vor sich hin leuchtete? Und leuchtete. Ich schaute mir die Fische an. Das Aquarium war realer als ich. Was unterschied mich von diesem?
Alles kam wieder hoch, die Vergangenheit holte mich ein. Wenn überhaupt, war ich nur noch Statist, hatte in der zugewiesenen Position zu verharren, bis die Aufforderung dazu kam, eine andere einzunehmen. Den Mund aufzumachen, wenn das gerade nicht erlaubt war, wurde bestraft. Schließlich gehörte man nicht zu jenen, die das Privileg hatten, den Text zu kennen. Das war mehr, als ich ertragen konnte. In der Absicht, ihn zu verlassen, griff ich mir die Autoschlüssel und verschwand. Wohin? Wieder machte ich auf den Weg nach Köln. Genau. An genau der Stelle meiner eigenen Planung hatte man mich zuvor unterbrochen, entführt, mir den Weg abgeschnitten. Diesen galt es jetzt fortzusetzen. Yeah. Unterwegs fiel mir dann allerdings siedendheiß ein, dass ich nicht15 dazu berechtigt war, sein Auto zu entwenden. Deswegen kehrte ich schweren Herzens noch einmal um.
1 (was denen natürlich gar nicht passte: der Goldesel haut ab!)
2 (sobald jemand auf die Idee kommt, selbst Verantwortung für sein Verhalten übernehmen zu müssen, benimmt sich derjenige plötzlich ganz anders. Deshalb sind die aggressivsten Menschen oft die, die glauben, sie seien nicht verantwortlich für das, was sie täten. Legitime Feindbilder (Schuldige) sind demnach für den Erhalt des (labilen) Selbstbildes unerlässlich. Spricht man solche Menschen darauf an, dann zeigen sie immerzu wie ein hypnotisiertes Kaninchen auf das Feindbild, statt sich auch nur ein einziges Mal selbst zu betrachten. Als wenn ein davon Ablassen dem Abschwören eines Gottesbildes gleich käme, ist allein der Versuch jemanden zur Selbstreflektion zu veranlassen, bereits Anlass genug, darauf beleidigt oder verletzt zu reagieren)
3 (ich nenne sie "Beziehungshopping")
4 (deshalb also diese Mischung aus abgeklärt und Drama bei ihr, die ich so verwirrend fand und nicht nachzuvollziehen vermochte => sie kannte das schon!)
5 (für einen erwachsenen Mann von 35 Jahren kaum vorstellbar!)
6 (und die mich aufgrund dessen, dass ich mit ihnen zusammen lebte, mitbetrafen)
7 (was, so wie ich ganz genau weiß, in seinem Fall auch nicht passiert sein kann, denn sonst hätte dieser feine Arzt festgestellt, dass konsumierte Drogen nachzuweisen gewesen wären)
8 (und die vielen bösen anderen Menschen darin)
9 (tatsächlich existieren nur Ursache und Wirkung)
10 (Macht und Schuld hängen übrigens ziemlich eng zusammen: Die mächtigesten Menschen der Welt haben nur eine Fähigkeit perfektioniert: sie sind geschickte Schuldenverteiler)
11 (an solchen Dingen sollte man eher arbeiten, als sie immer nur zu verschieben. Der morsche Baum, der droht, auf unser Haus zu fallen, muss abgeholzt werden. Ist ein Feuer an einer Stelle ausgebrochen, an der man es nicht so gern hat, sollte dessen Bekämpfung nicht auf die lange Bank geschoben werden)
12 (es und hatte ein bisschen etwas von Special Agent Smith aus Matrix in Teil II und II)
13 (vor allem nicht das Grinsen)
14 (der übrigens immer lief: von morgens bis abends, teilweise sogar Nachts, ohne Unterbrechung)
15 (auch als aktuelle Lebensgefährtin nicht)