XIX.

Vielleicht hätte ich an Stelle meines Vaters genauso gehandelt? Jeder tut das, was er aus seiner Sicht für das Richtige hält.Ein dramatisch-polarisierendes Urteil darüber zu fällen, ob der Standard-Esoteriker nun so viel schlauer ist als die irdische1 Wissenschaft, führt nirgendwo hin.2 Die Wahl zwischen Pest und Cholera: Nachdem jahrelang religiöse Fanatiker versuchten, die Weltherrschaft an sich zu reißen, traten Mengele und Co-kg in deren Fußstapfen, deren schauerhafte Praktiken ebenso eindrucksvoll wie beharrlich die Gezeiten überdauern.

 

Was hatte ich in der Psychiatrie gelernt: vor allen Dingen kam es darauf an, sein Gegenüber zu beschäftigen. Immer etwas zu erzählen zu haben. Inhaltlich musste es nicht unbedingt einen Sinn ergeben,3 sich aber kompetent anhören. Dabei auf die Körperhaltung, die Betonung, das selbstbewusste Lächeln achten. Man wollte etwas hören, das einem ein gutes Gefühl gab. Aber um nicht zu hören,4 sondern um abzuschalten. Nicht was gesagt wurde, war wichtig, sondern wie. Solange man nicht vergaß, dabei freundlich zu klingen und selbstbewusst zu lächeln, würde keiner die Stirn runzeln. Das wichtigste: Niemals aufhören zu beschallen. Sonst wurden sie aufmerksam. Aufmerksamkeit überforderte, war unangenehm. Man wollte, dass alles seicht vor sich hin plätscherte. Ständige5 Geräusche, die einen davon abhielten, sie zu hören. Blablablabla.

 

Manche Menschen ertragen es nicht, wenn man still ist. Nicht ständig abgelenkt und beschallt zu werden,6 treibt sie in den Wahnsinn. Die Ruhe, welche ich als Gefährtin so sehr schätze, scheint ihre Welt ins Wanken zu bringen. Immer wieder jubelte man mir eine angebliche Teilnahmslosigkeit unter. Hierbei handelte es sich um eine Übertragung des Betrachters auf mich - um eine Fehlinterpretation. Mein Aufmerksamkeitsfokus unterscheidet sich vom Mainstreamcharakter, was sich, wenn mir erlaubt ist, einfach nur ich selbst zu sein7 selbstverständlich auch auf einer rein äußerlichen Ebene nierderschlägt.

 

Ich nehme durchaus auch zur Kenntnis, dass andere Menschen Dinge vermehrt emotional erleben und verarbeiten. Sogar auf Kleinigkeiten reagieren sie mitunter mit einer totalen Ergriffenheit. Würde ich mir gestatten, auf diese Art und Weise hemmungslos gefühlsbetont zu reagieren, wäre ich sehr schnell orientierungs,- und hilflos, da ich, wie ich festgestellt habe, sehr viel intensiver empfinde als die Norm. Die mir zu eigene neutrale Grundhaltung rettet mich vor der Handlungsunfähigkeit, in welche meine Emotionen mich versetzten, gäbe ich mich dem hin. Es ist nicht so, dass ich nichts fühle. Vielmehr nehme ich viel zu viel wahr, weshalb ich lernen musste, sehr viel berechnender an Dinge heranzugehen. Um die operative Einheit in Gang halten zu können, ist es erforderlich, zu jeder Empfindung eine Distanz einzuhalten.

 

Am ehesten ist es mit einem Haus vergleichbar, in welchem bei ruhigen Wetter Fenster und Türen geöffnet werden können, um einen zirkulativen Austausch mit einem gesunden Außen zu ermöglichen. Nur zu seltenen Anlässen werden diese geschlossen gehalten. In meiner Welt scheint immer Sturm zu sein, welcher nicht nur die Blumentöpfe vom Fensterbrett fegt und die Gardienen zerfetzt. Um zu überleben und mich zurechtzufinden, sind die Türen und Fenster meines Hauses in der Regel zu. Es pfeift schon genug die die verbleibenden Türschlitze. Diese Vorsichtsmaßnahme, mich dem nicht in ungesundem Maße auszusetzen, entspricht meiner Version von Vernunft. Das hat etwas mit Ursache und Wirkung zu tun. Wer keinen Sturm kennt, wird sich darüber wundern, dass ich so verschlossen bin und unter Umständen sogar auf die Idee komme, tagüber die Fensterläden geschlossen zu halten.

 

Der Fokus meiner Wahrnehmung macht vor nichts halt.8 Was ist Marterie? Eine Ansammlung von Molekülen? Und das Molekül? Besteht aus Atomen, welche aufgrund ihrer elektrischen Ladung einen familiären Zusammenhalt untereinander gründen. Da liegt der Hase im Pfeffer. Diese elektrische Ladung hat ein gravitätisches Feld, welches ich wahrnehme. Nicht mit den Augen oder Ohren, tatsächlich am ehesten auf der Zellebene selbst. Ich höre quasi mit den Händen, Zehen oder dem dafür weltberühmten Bauch. Es gibt einen Sinn, dem wir meist keine größere Beachtung schenken: die Nase. Bei den meisten Menschen ist er kaum aktiv und daher unterentwickelt. Würde man hingehen und diesen Sinn trainieren, ihn aktivieren, könnte die betreffende Person erleben, wie Gerüche uns bei der Orientierung in unserer Umgebung unterstützen können. Erzählte sie einem mit seiner Nase kaum verbundenen Teilnehmer von diesen intensiven Eindrücken und Erfahrungen, könnte dieser darüber nur verwundert den Kopf schütteln. Es fehlte das Verständnis.

 

Eine Zeit lang trainierte ich meinen 6. Sinn ganz gezielt. Ging im Kopf die verschiedenen Radiosender und Fernsehprogramme durch, deren Frequenzen für mich ebenso greifbar waren wie alles andere. Ich verstand, was ein Baum (u./o. Topfpflanze) zu erzählen haben konnte, hörte zu, wenn ein Tier mir etwas erklärte.9 Die meisten Menschen sind dazu nicht in der Lage, weshalb sich in unsererer Gesellschaft Stalagmiten der Dunkelheit herausgebildet haben, welche dem Miteinander oft recht unschöne Formen verleihen.

Die Lüge hat eine Farbe: sie ist schwarz (wie die Nacht).

 

Verneblungstaktiken erfolgsfetischistischer Hofschranzen sind dunkle Wolken, von denen man sich, sobald die Zellwahrnehmung einsetzt, instinktiv fernhalten möchte. Setzte ein Nebelmensch das gewinnende Lächeln auf, reagierte ich darauf nicht. Deshalb war ich nicht "gefühlskalt", "teilnahmsslos", oder "unsensibel". Ich verhielt mich nur nicht nach Vorschrift. Menschen, welche ganz fest an die Welt ihrer selbst erschaffenen Dunkelheit glauben, können eine Belastung für mich darstellen. Sie gehen davon aus, dass andere es nicht sehen oder wahrnehmen können, wie sie sich fühlen oder ihre Beweggründe sind. Man bemüht sich, zu kaschieren, indem auf einer rein äußerlichen Eben gesellschaftlich anerkannte Gut-Menschen-Szenarien entworfen und vollendet inszeniert werden. Dies kann auf Dauer aber bloß jene täuschen, die nur mit irdischen Augen auf Dinge zu blicken gewohnt sind.

 

Wer nachvollziehen möchte, wie sich das für mich anfühlt, möge sich eine sehr schreckliche Musik vorstellen, mit der er bei gefesselten Händen über Kopfhörer beschallt werden würde - oder einen furchtbaren Geruch/ Geschmack wie von etwas Fauligen auf der Zunge, den man, weil es sich in unserer Gesellschaft nicht gehört, weder ausspucken, noch das Gesicht verziehen darf. In Umgang mit Verneblungstaktikern geht es mir permanent so. Heute schirme ich mich vor dunklen Einflüssen gezielt ab oder ziehe mich, wenn ich die Kraft, die das kostet, nicht aufbringen kann, gezielt zurück.

 

Selbstverständlich ist das auch der Grund, weshalb ich Kontakte zu anderen Menschen nach Möglichkeit sehr genau wählte, nicht beliebig viele, lediglich auf Oberflächlichkeiten beruhende Freundschaften pflegte. Gesunde und heilsame Beziehungen sind leider eher die Ausnahme für mich, dafür aber um so wertvoller. Wenn die Energiestruktur eines Menschen ein einfaches und klares Bild malt und nicht der Versuch vorgenommen wird, irgendetwas zu verbergen oder zu maskieren, ist es für mich einfacher. Diese Art des Umgangs ist erfreulich unkompliziert.

 

Diese ganze einander-Vortäuscherei ist furchtbar anstrengend. Dieses meiner Natur fremde Spiel dann auch noch überzeugend mitzuspielen10 => nicht mein Ding. Es kommt mir vor wie das sich die-Augen-zuhalten-Verhalten11 eines kleinen Kindes. Die Tarnung der unverlautbaren Absichten hinter der eigenen Blindheit ist nicht gerade eine wirkungsvolle Strategie. Von mir zu verlangen, dieses "Versteck" dadurch anzuerkennen, mir ebenso die Augen zuzuhalten, ist total albern.

 

Es gibt verschiedene Realitätsebenen. Es gibt die irdische Energieform, welche aus sich temporärer Ebene befindet. Sowohl inaktive Ablagerungen als auch aktive Einflüsse aus der Vergangenheit12 sowie Potentiale können in dieser Aura einen Ausdruck finden, die sich im aktiven Jetzt befindet. Es existieren übergeordnete temporäre Zusammenhänge: Arbeit, Familienverhältnisse, Kulturkreis, Hobbies, Ernährung, etc. Dann muss dem aktiven Moment Beachtung geschenkt werden, in welchem meist Gefühle eine Rolle spielen, welche sich aus der gerade aktiven subjektiven Wahrnehmung ergeben. Meist sind diese Informationen sehr flüchtig und instabil, nehmen von jetzt auf gleich ständig andere Formen an. Nicht zu vergessen den Bereich der genetischen Ebene, auf dem noch ungelebte Potentiale warten. Gebe ich mir besondere Mühe, bekomme ich auch Zugriff auf den Lebenplan.

 

Innerhalb eines sinnentleerten Smalltalk-artigen Gesprächs solche Informationspakete verarbeiten und anhand derer komplizierte Berechnungen anzustellen, wie idealerweise mit einer Person unter Berücksichtigung aller Wahrscheinlichkeitslinien umzugehen sei, ist ein nicht ganz einfaches Unterfangen, was mich oft über alle Maßen anstrengt. Deshalb ist es für mich von unschätzbarem Vorteil, offen miteinander umgehen zu können. Für mich stellt sich nicht die Frage, wie es zu schaffen sei, am Ende von einem jeden wertgeschätzt, geliebt oder bewundert zu werden - vielmehr liegt mir daran, eine ungekünstelte Atmosphäre der Offenheit herzustellen, um mich gemeinsam mit dem Gesprächspartner an die heißen Eisen /schwarz-blockierten Stellen ihres Energieflusses heranwagen zu können.

 

Natürlich tun alte Wunden weh! Weswegen sich die Menschen häufig, sobald ich sie mit ihren schlecht verheilten Kampfesnarben konfrontiere, total vor den Kopf gestoßen fühlen. Viele reagieren direkt mit Tränen, andere mit Verunsicherung - aber auch Dankbarkeit. Zorn und Angst sind die beiden dominantesten Reaktionen. Jede Form von unnützer Ablenkung und Maskerade stellt eine Behinderung auf allen Realitätsebenen dar. Das Öffnen von negativ blockierten Energieknoten ist nicht immer eine leichte Aufgabe. Vor allem dann nicht, wenn die teils übel traumatisierten Menschen plötzlich mit einem Messer in der Hand vor mir stehen.

 

Die-ihren-Lügen-vertrauen suchen sich oft ebensolche auf-Lügen-Vertrauer als Verbündete, da diese um der Solidarität willen meist am ehesten dazu bereit sind, des anderen Scheinwelt zu akzeptieren. Da wird nur noch danach geschaut, um welche der oberflächlich demonstrierten Scheinwahrheiten es sich gerade handeln mag, die man beim Gegenüber als nächstes abzunicken oder abzufeiern haben wird. Es gehört "zum guten Ton", einander bloß immer schön artig zuzustimmen, nach dem Mund zu reden, kritiklos alles hinzunehmen.13

 

Ich bin da ein bisschen anders. Selbst ein offensichtlich wütender Mensch kann, wenn er in seinem Ausdruck hierbei klaren Gemütes ist, für mich einfach im Umgang sein. Schwierig wird es, wenn mir jemand begegnet, der etwas vorzutäuschen versucht, was nicht seiner wahren Gesinnung entspricht. Noch mehr überfordert mich die Aufforderung, diese meine Haltung zugunsten des gesellschaftlichen Diktates von Pseudofreundlichkeit aufzugeben. Immer wieder werde ich dazu aufgefordert, andere Menschen doch bitte etwas mehr anzulügen.

 

Die einen fallen vor halbnackten Männern an Kreuzen auf die Knie, die anderen beten Gehirne an. Beide werden ihre für sie überzeugenden Ansichten und Gründe dafür haben. Die Seele der Gesamtheit unserer Körperlichkeit ist aber auch in der Gesamtheit seiner Zusammensetzung zu finden. Wir bestehen aus vielen miniaturkleinen Einzellebewesen von denen jedes seine eigene "Seele", also sein eigenes kleines energetisches Feld hat. Diese können miteinander im Einklang schwingen, klar ausgerichtet sein, so wie es bei einem gesunden Menschen der Fall ist. Alle kleinen Wesen musizieren hier gern und freiwillig mit. Dieses ergibt ein harmonisches Gesamt-feld.

 

Dunkle Flecken/ein Krebsgeschwür/ ein ausbeuterischer und auf Abhängigkeiten bedachter Geist klingt oft eher wie eine Kindergartenhorde, der man nebst Presslufthammer Topfdeckel und Trillerpfeifen zur Verfügung gestellt hat. Diejenigen mit disharmonischen Energien möchte ich nicht gern in meiner Nähe haben. Energie-Signaturen von Erkrankungen (auch psychischer Natur) sind, wenn man sich Ihnen zu sehr aussetzt, wie etwas falsches zu Essen zu sich zu nehmen, womit man sich den Magen verdirbt. Manchmal muss ich davon, dem falschen Menschen die Hand gegeben oder mich zu lange mit einem solchen unterhalten zu haben, sogar erbrechen.

 

Bei in Dunkelheit stehenden Persönlichkeiten besteht oft ein regelrecht obsessives Verhalten andere aggressiv dazu zu nötigen, ausgedachte Weltvorstellungen anzuerkennen. Ob man das gerade gebrauchen kann oder nicht - wird einem hierzu distanzlos ein Gespräch aufgedrängt. Selbstverständlich lande ich bei dieser bist-du-für-oder-gegen-mich-Sondierung grundsätzlich immer auf dem Feindbild Grabbeltisch. Da nur eine vorgetäuschte Reaktion zulässig wäre, keinesfalls aber eine ehrliche, habe ich oft nur die Wahl, entschuldigend die Schultern zu zucken oder in vermeintlicher Arroganz das "Gespräch" zu unterbinden. Worin es sich aus meiner Sicht so offensichtlich um Täuschungen handelt, als "echt" anzuerkennen, impliziert ein falsche Tatsachen vorgaukelndes Verhalten. Diesem Spiel: ich-erkenne-deine-Illusionen-an-damit-Du-auch-meine-Wahnvorstellungen-unterstützt werde ich nicht gerecht. Diesen Kuhhandel müssen die Gaukler unter sich ausmachen. Ohne mich.

 

An dieser Stelle habe ich ein ganz offensichtliches Handicap. Trotzdem: Wenn Menschen sich in meiner Gegenwart plötzlich auch ohne Aufforderung genötigt fühlen, mir absolut vertrauliche Dinge zu erzählen,14 ich sie durch meine Anwesenheit zu den lang ersehnten - Staudämme brechenden Tränen rühre, die sie jahrelang nicht weinen konnten, dann komme ich mir vor wie Momo, die ihre grauen Herren besiegt. Wie kann man bitte mir unterstellen, unsensibel oder sogar gefühlskalt zu sein? Bloß weil ich beim Lügen-tausche-Spiel, welches die Etikette vollkommen grundlos als oberstes Diktat der Umgangsform festgelegt hat, nicht mitspiele?

 

Immerzu werde ich von jenen, welche es nicht besser wissen, verurteilt. Im Anschluss den - je nach gelerntem Ritual - individuell gestalteten Erziehungsversuchen ausgesetzt. Ganz normale, rational denkende Menschen, die einem glauben machen möchten, in mir das größte nur denkbare Feindbild der Menschheit selbst gefunden zu haben - wahlweise Nazi oder Bolschewik, vom welche-Religion-auch-immer-Gottesbild-Beschmutzer bis hin zum Teufel persönlich. Wird des Menschen Lügenpresse nicht überzeugend bestätigt, stempelt einen das zur Ausgeburt des Bösen.

 

Diese "Entweder bist du meiner Meinung oder der Feind"15 Einstellung,16 welche im Anschluß marzialischen Rachegelüsten das Tor öffnete, ließ darauf schließen, dass es um mich persönlich gar nicht ging. Ich konnte nicht alles Schlimme zugleich sein. Das, was mir um die Ohren flog, schien eher der persönlichen Hassvorstellung jedes einzelnen zu entsprechen. Hier liegt der Teufel im Detail.

 

Ich bin extrem merkfähig. Da ich mir alles verfüge ich aus diesem Grunde über sehr viele Daten. Auch hier zeigte sich ein übergeordnetes Muster: Jemand, der mir vorwarf, ignorant zu sein, zeigte meist ein extrem ignorantes Verhalten. Der Eifersüchtige warf einem Eifersucht vor. Der Selbstsüchtige die Selbstsucht, der Kritiküberempfindliche die Kritik-Überempfindlichkeit, der, der nicht zuhörte kritisierte das Nicht-zuhören seines Gesprächpartners. Man orientierte sich gar nicht an mir. Mich nahmen sie gar nicht wahr. Interessanterweise wurde mir immer nur das vorgehalten, wofür andere sich selbst am meisten hassten und verachteten. Dies konnte sich von Person zu Person sehr unterscheiden. Der eine erzählte, ich sei zu ehrlich, der nächste warf mir vor, zu lügen.

 

Ich schien nur als Spiegel eine Funktion auszuüben in dem man sich selbst betrachtete, um dann vorwurfsvoll mit dem Finger auf das zeigen, was ihnen daran nicht gefielt. Wenn sich jemanden fand, der einem das abkaufte, nahm das Feinbild real Gestalt an. Schauspiel ist ja an und für sich nichts per se Schlechtes, aber wenn darunter die unlauteren Absichten eines geschickten Taschenspielers verborgen sind, ist es von Vorteil, sich von dem, was vor auf der Bühne stattfindet, nicht ablenken zu lassen. Von Abermillionen dieser umgeben zu sein, von denen jeder irgendwie andere Tricks drauf hat - macht die Sache, darüber Bescheid zu wissen, für mich nicht unbedingt so viel leichter. Vor allem dann nicht, wenn die Spielregeln des Zusammenlebens so auf dem Kopf stehen wie in unserer Gesellschaft. Manchmal möchte ich lieber nur mit Wesenheiten zu tun haben, die die Fähigkeit zur Täuschung nicht besitzen. Deswegen bevorzuge ich Pflanzen und Tiere als Kommunikationspartner. Oder Sterne.

 

Eine ganz besondere Sprache sprechen die Augen. Manchen meiner Mitbürger kann ich gar nicht in die Augen sehen. Man sagt nicht umsonst, die Augen seien ein Tor zur Seele. Bei manchen tummeln sich dort17 frei laufende Dämonen, die nur darauf warten, einen zu zerfetzen und zu verspeisen. Und gegen die müsste ich dann kämpfen. Augenkontakt kann ebenso wie Berührungen eine direkte Resonanz/Verbindung herstellen, weshalb ich diesen oft gezielt zu vermeiden versuche. Bei anderen wiederum (im Herzen offenen Charakteren) wiederum ist der Blickkontakt mitunter ein schönes Erlebnis, stellt einen Grund zur Freude dar. Ebenso verhält es sich mit Berührungen. Wo manchmal ein simples Händeschütteln ein Bedürfnis auslösen kann, mir stundenlang die Hände zu waschen,18 ein gut gemeintes Hand auf die Schulter legen beinahe schmerzhaft unangenehm, kann eine andere, vergleichbare Situation hingegen unproblematisch, angenehm und wünschenswert sein. Die dem zugrundeliegende Motivation eines Menschen hat eine starke Energie, die ich wahrnehme, mitunter sogar optisch sichtbar, als Lichtblitz/ oder Farben. Ein tanzender oder einfach nur begeisterter Mensch kann davon sehr viele erzeugen. Bei einem Depressiven wiederum bleiben sie ganz aus.

 

Trance ist ein Ausdruck von höchster Konzentration, also demnach eher eine innere An,- als Abwesenheit. In einem solchen Augenblick sehe ich jede Bewegung lange, bevor sie kommt, bereits im voraus. Man hat es mir auch schon vorwurfsvoll vorgehalten, wie das denn sein kann, dass ich bereits losrenne, um zu helfen, bevor das Unglück sich ereignet. Und das natürlich, ohne hinzusehen und ohne davon zu wissen, was anschließend für Verwunderung sorgt. Oft genug bin ich schon aus heiterem Himmel irgendwo rechtzeitig aufgetaucht, dabei wohl wissend, dass meine Anwesenheit in einer Notsituation erforderlich war.

 

Ein negativ Aushänge Schild zu sein, fühlt sich beschissen an. Dass einem, egal, was passierte, der schwarze Peter grundsätzlich immer zugespielt wird, ebenso. Ich komme mir vor wie Donald Duck, der tagsüber Pechvogel und Prellbock spielt während er über Nacht zum Superhelden wird, aber seine geheime Identität auf keinen Fall preisgeben darf. Wenn ich in monatelanger Arbeit eine Negativ-Besetzung aus einem Menschen, Tier oder Ort herausgearbeitet, den Tod abgewendet oder eine Erkrankung geheilt, jemanden zu mehr Glück und einem neuen Lebensgefühl verholfen - mich dabei unter Umständen sehr verausgabt, gehe ich damit einer "Arbeit" nach, die für niemanden anderes nicht sichtbar ist und auch (natürlich) in keinster Weise entlohnt wird.

 

Dabei bin ich aber doch für niemanden eine Bedrohung? Es ist vielmehr andersherum. Ich empfinde es so, dass ich aufgrund meiner Besonderheit vielen bedrohlichen Szenarien ausgesetzt bin. Im Grunde bräuchte ich einen starken Partner - der mir, mich beschützend, an meiner Seite stünde. Mich gut kennt, weiß, womit ich es zu tun habe, was ich brauche, um zurecht zu kommen, auch, wenn es mir einmal nicht so gut gehen sollte.

 

Ich bekam einen Anruf. Meine "Freundin für umsonst" wollte vorbeikommen. Zu diesem Treffen eine Kollegin mitbringen. Was war das noch für ein Name? Schlampe? Der kam mir bekannt vor... Genau! Das war eine von den windigen Typen, die mir meine Eltern mir vor zwei Jahren auf den Hals gehetzt hatten! Diese hatten mich damals in der Behausung eines alten Freundes zu belästigen versucht, ich sie jedoch sofort der Tür verwiesen.19 Die hatte mir gerade noch gefehlt!

<< Hallo. Ich bin mit der Aufgabe betraut worden, ihre Betreuung zu übernehmen und rufe an, um einen Kennenlern-Termin mit ihnen auszumachen. Wann kann ich vorbeikommen. >>

OMG

<< Ich möchte Sie aber gar nicht kennenlernen. Das ist nicht notwendig. >>

<< Doch, ist es, unbedingt. Wir müssen einen Termin ausmachen. >>

<< Nein. >>

<< Aber sicher müssen wir das. >>

Plötzlich spürte ich, wie eine bislang noch vollkommen unbekannte Empfindung in mir heranwuchs. Dieser dunkle Pfuhl da am anderen Ende der Telefonleitung war unerträglich. So ein Gefühl hatte ich noch nie empfunden. Es war derart verstörend, dass sich mir dieses Telefonat einbrannte wie glühendes Eisen. Wissend, dass dieser Moment bleibende Schäden hinterlassen würde, wollte ich am liebsten einfach den Hörer auflegen. Früher einmal hatte ich, wenn jemand mir etwas von "Hass" erzählte, gefragt, was das sei, wie es sich anfühlte. Jetzt wusste ich es. Auf keinen Fall wollte ich ihr begegnen. Niemals.

<< Sollte denn da nicht noch eine gerichtliche Anhörung stattfinden? >>

fragte ich gereizt.

<< Jetzt sagen Sie mir schon, wann wir uns treffen können. Wir müssen besprechen, wie es in den nächsten Wochen für Sie weitergehen soll. >>

Ihre Stimme zu hören tat mir körperlich weh. Was war das bloß?

<< Es wird keine Zusammenarbeit geben. Hören Sie, da ist was schief gelaufen. Es hat keine Anhörung gegeben... >>

Sie fiel mir ins Wort:

<< Das spielt jetzt alles gar keine Rolle. Ich werde vorbeikommen. Sagen Sie mir jetzt bitte, wann Sie Zeit haben. >>

Mein Gott. Das ätzte mir alles weg. Ich stand da wie nach einer Eisbucket Challenge, gleichzeitig konnte ich, wie in so einem dieser fiesen Alpträume, vor der monsterhaften Kreatur nicht wegrennen. Stell dich dem Feind entgegen.

<< Ich kann Ihnen das Ganze gerne auch noch mal ins Gesicht sagen, wenn Sie wollen. Aber: Überlegen Sie sich das gut. Es ist auch um ihre Zeit, die dadurch verschwendet wird. Sobald ich vor Gericht vorgesprochen habe, wird man die richterliche Entscheidung wieder aufheben. >>

Ich redete mit einer Wand.

<< Gut! >> klang es vergnügt

<< Wann darf ich kommen? Wie wäre es mit nächster Woche?>>

Wie Pattex! Ich seufzte.

<< Mir ganz egal. Wann Sie wollen. >>

<< Schön! >> trillierte sie.

<< Nur eines noch: >>

<< Ja? Was denn? >>

<< Lassen Sie die Schlampe zu Hause. >>

<< Aber das ist doch so eine kompetente, nette Kollegin! >>

Ja, sollte sie gern woanders kompetent sein. Stünde dieser Vollpfosten noch einmal vor meiner Haustüre, würde ich super aggressiv werden, das wusste ich. Und dann bekam ich wieder kein Wort heraus, konnte ihr vielleicht nicht einmal sagen, wie Scheiße sie war. Welch grauenvolle Vorstellung.

<< Mir egal. Die soll weg bleiben. >>

<< Nagut, wenn Sie meinen... >>

<< Ja, meine ich. >>

 

Sie dann vor der Haustüre. Ich öffnete. Deja vue. Sie ging wort,- und grußlos an mir vorbei in meine Wohnung. Nun inspizierte sie sie, vollkommen distanzlos, als sei es das Natürlichste auf der Welt, sich als Fremde auf solch eine Art und Weise zu verhalten. Dabei sah sie sich mit einer Art raubkatzenartigen Blick alles ganz genau an, verhielt sich dabei fast so, als würde sie einen Platz dafür suchen, sich die Krallen zu wetzen.20 Dabei scheute sie sich auch nicht davor, in meine Schränke hinein zu sehen, fast so, als habe sie einen Durchsuchungsbefehl dabei.

 

Verwundert lief ich ihr hinterher, sah dieser wahnwitzigen Vorstellung völlig verdattert zu.

<< Hey! >>

Sie lies sich nicht beirren.

<< Hallo?!! Was soll denn das? >>

Was machte Sie denn da? Sah sie etwa in meinen Kühlschrank???

Fassungslos vor lauter Wut und Verwirrung blieb ich, statt ihr weiter hinterher zu laufen, im Wohnzimmer stehen. Die hatte sie doch nicht mehr alle am Lattenzaun!

 

Als sie mit dieser Inspektion fertig war, fiel ihr vermutlich ein, dass es mich auch noch irgendwo geben müsste. Sie richtete sich auf, sah sich besitzergreifend um. Was plante sie nun? Das Versäumte nachholen? Sie hatte es schon nicht geschafft, sich an meiner Haustüre bei mir vorzustellen. Jetzt auf mich zuzugehen, würde ihre erbarmungslose Distanzlosigkeit, in meiner persönlichen Habe herumgewühlt zu haben, auch nicht wieder wett machen. Erneut wurde ich überrascht. Sie bewegte sich zwar in meine Richtung,... das jedoch in einer so befremdlichen Art und Weise, welche mich in mit sofortiger Wirkung in einen Zustand einer verzückten Faszination versetzte. Ich war total von den Socken. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Was machte sie da? War das ein21 Remake von dem Film, den ich mir bei Frau Hektik hatte reinziehen dürfen?

 

In meiner Wohnung gab es viel freie Fläche, sie enthielt kaum Mobiliar. Ich stand im Wohnzimmer beim Tisch am Sofa, welche außer dem Bett am anderen Ende des Raums die einzigen Möbelstücke darstellten. Sie hielt sich ca sechs Meter von mir entfernt auf, als sie ihre Tätigkeit beendete, an meinem Kühlschrank herumzufuhrwerken. Ihr Raubkatzenblick fand aber nichts weiter von Interesse. Nichts Anstößiges in meinem aufgeräumten Haushalt gefunden zu haben, langweilte und enttäuschte. Daraufhin rang sie sich offensichtlich dazu durch, Kontakt zu mir aufnehmen zu wollen. Derweil ich ihr ungeniert dabei zusah, versuchte sie nun, sich an mich anzuschleichen. Was ein echtes Problem ist, wenn einen jemand dabei auf komplett freier Fläche in kaum nennenswerter Entfernung dabei zugewandt und aufmerksam zusieht. Wie stellte sie es an, den Schein eines Überraschungsangriffes trotzdem herzustellen: Hierzu lief sie, dabei konsequent blickabgewandt, leicht geduckt, pseudo-zufällig hin und herschlendernd in meine Richtung. Das Kichern, welches mir in der Kehle zuckte, kitzelte immer stärker. Ihr Verhalten erinnerte an Sigourney Weaver in "Gorillas im Nebel", wobei sie die Verhaltensforscherin miemte, die sich blickabgewandt und Blätter kauend, dadurch natürlich ganz unauffällig und getarnt, den wilden Gorillas näherte - deren Rolle ich für sie zu übernehmen schien. Ich konnte nicht mehr, fing an zu kichern. Das war etwas... ganz Besonderes. Ein Live-Comedy-Act. Dass ich ihr aufmerksam zugewandt und in offizieller Manier kommunikations-bereit zusah, konnte sie von ihrer komischen Tarnerei und unauffällig-Tuerei nicht abhalten. Dass sie damit auffiel, fiel ihr offensichtlich nicht auf. In Zwei Metern Entfernung blieb sie (blickabgewandt) stehen, tat noch ein paar Sekunden so, als würde sie Blätter kauen, fummelte wie zufällig am Schrank. Völlig fasziniert derart geballter zur-Schau-Stellung von Realitätsverlust hielt ich den Blick weiterhin aufmerksam auf sie gerichtet, schwieg und wartete ab, was sie sich als nächstes einfallen lassen würde. Ich kam mir vor, als sei ich in einem Theater, auf dessen Bühne sich der Clou näherte. Das ging einfach nicht in meinen Kopf! Wie blöd konnte man eigentlich sein? Ich sah sie an. Wie lange sollte dieses Schauspiel noch anhalten?

 

Mit Leichtigkeit hat sie die unterste Latte der Minus-Skala, von dem, was für mich überhaupt vorstellbar war, weggesprengt. Ich schüttelte den Bann ab, der auf mir lag. Was sollte ich tun? Das Einzige, was mir durch den Kopf ging: Ich musste sie fragen, ob sie bescheuert war. Ich holte bereits Luft, als sie mich überraschend doch auf einmal ansah, dabei demonstrativ schüchtern lächelnd. Ob ihr das in ihrer Laufbahn schon einmal jemand abgenommen hatte?

<< Ok. Da bin ich. >>

Was für ein Statement. Schwierig, darauf nicht sofort zu antworten:

Ja, und das auch schon etwas länger - Schließlich lief sie seit einer geraumen Weile in meiner Behausung herum, als diese ihre und nicht meine.

<< Das habe ich mitbekommen. >>

<< Na. Dann wollen wir mal. Nur das du Bescheid weißt: Ich bin nun für dein Leben verantwortlich. >>

O.o Eigentlich hatte ich auch einen Familiennamen? Wieso duzte sie mich? Direkt dozierte sie weiter:

<< In den nächsten Wochen werden wir uns häufiger mal sehen, um zu schauen, wie gut du zurecht kommst. Entscheidungen, die dein Leben betreffen, treffe ab sofort nur noch ich. Daran solltest du dich am besten direkt gewöhnen. Soweit klar? >>

Völlig klar: nicht ich war schlecht erzogen. Wenn es jemanden gab, der sich nicht zu benehmen wusste, war es diese Person, die da vor mir stand. Auch, wenn sie so tat, als sei ich der Gorilla.

Ich musste etwas unternehmen.

<< Stop! >>

Langsam hob ich die Hand zu einer abwehrendes Geste.

<< Nicht so schnell. Wie ich ihnen bereits am Telefon schon zu erklären versucht habe, gibt es da einige Ungereimtheiten, die noch aufgeklärt werden müssen. Es hat auch noch keine gerichtliche Anhörung stattgefunden, so dass niemand darüber Bescheid weiß. Wenn dies endlich nachgeholt worden ist, können Sie davon ausgehen, dass diese gerichtliche Entscheidung wieder rückgängig gemacht werden wird. Da ist einiges schief gelaufen in der letzten Zeit, was nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Wissen Sie eigentlich, was ich in den letzten Wochen und Monaten zu erdulden gehabt habe? Mein Ex, also der Mann, der für das hier (ich sah auf meinen Bauch) verantwortlich ist, hat mir ziemlich übel mitgespielt. Das ist etwas, was die Ärzte nicht wissen, beziehungsweise das Gericht nicht weiß. Also, einem der Ärzte habe ich schon versucht, davon zu berichten, aber, der hat das einfach ignoriert, wissen Sie? Damit hat er sich im Grunde sogar strafbar gemacht! >>

Sie schnitt mir das Wort im Mund ab:

<< Hören Sie auf. Ihr bisheriges Leben interessiert mich nicht. Wichtig ist nur noch, was jetzt passiert. Und das entscheiden nicht mehr Sie. Dafür bin ab heute ich zuständig. >>

Vor lauter Schreck sagte ich erst mal eine Weile gar nichts. Schimpfworte gingen mir durch den Kopf. Als ich wieder zu sprechen in der Lage war, presste ich22 mühsam beherrscht heraus:

<< Es wäre das wirklich besser, wenn Sie jetzt gehen. >>

<< Ok. Gut. Aber ich komme wieder! >>

Ich kämpfte um meine Selbstbeherrschung. Wie ein Roboter wiederholte ich.

<< Gehen Sie. >>

Ich zeigte in Richtung Flur.

Zum Glück tat sie das dann auch.

 

Hoffentlich sah ich diese Person nie wieder. Wie oft machte sie die Termine? Bis das Amtsgericht reagieren würde, dauerte es gut und gerne zwei Wochen, dann die Anhörung..., Hmm,... und bis die Sache dann vor Gericht durchgekaut worden wäre... OMG. Ich wollte ihr nie wieder begegnen. Die war so Scheiße, das ging auf keine Kuhhaut, nicht mal auf die einer Elefanten-Nilpferd-Kreuzung. Dafür würden wir definitiv einen Dinosaurier benötigen. Eines, ja, das habe ich von ihr gelernt. Zuvor hatte ich nie wirklich verstanden, was das war, das die Menschen dazu antrieb, sich gegenseitig zu bekämpfen. Seitdem weiß ich sehr genau, was, und vor allem wie es sich anfühlt, wirklich zu hassen. Dieses Wesen hatte es auf Anhieb geschafft, bei mir total unten durch zu sein. Ich hasste sie von ganzem Herzen.

 

Da ich viel allein und die Renovierungsarbeiten nun endlich vollendet waren, blieb mir mal wieder ein bisschen Zeit dafür, über mein Leben nachzudenken. Jack stellte den Kern all meiner Problemen dar. Eine dunkle Pfütze, in welche zu allem Überfluss meine neue Freundin mitten rein gedappt war. Hmm. Da wollte ich die eigentlich gar nicht drin haben. Dafür, diese Probleme zu lösen, schien sie mir nicht geeignet. Sie musste weg. Und zwar sofort.

 

Beständig und unauslöschbar stand bei ihm das Suizidspiel auf dem Programm. Ob nun er sich etwas antat und ich daran Schuld war, oder ich mir etwas antun sollte, aus welchen Gründen auch immer... Umbringen musste man sich.

 

Das ging mir auf den Wecker. Deshalb plante ich, ein endgültig- klärendes Gespräch mit ihm zu führen. Selbst wenn er nun vielleicht keine Drogen mehr nehmen und angeblich sogar Therapie machen wollte: Was sollte ich mit so einer so derart nutzlosen Beziehung? Bei der man sich nur unwohl fühlte. In welcher man immer Angst haben musste, am nächsten Morgen mit einem Messer im Rücken aufzuwachen.23 Wie ein kleiner unsichtbarer Splitter nagte der Zweifel an mir, auch wenn er es mal gerade wieder einmal eine Zeit lang schaffte, darauf zu verzichten, mich zu misshandeln.

 

Ich lud ihn zum Kaffee ein. Er wurde Vater. Damit musste er sich auseinandersetzen. Ich war zwar da, wollte aber nicht, dass er immer von seiner einen Freundin zur anderen hin und her switschte, denn das tat keinem von uns auf Dauer gut. Er könnte eine Therapie machen, er könnte sich eine eigene Wohnung suchen, meinetwegen. Mir egal. Aber das wie bisher weiter laufen zu lassen, ging nicht. Der erste Versuch schlug fehl. Als er vernahm, dass mit ihm ein ernstes Gespräch führen wollte, war er so schnell wieder weg, dass ich nur ganz verblüfft dastehen und aus dem Fenster heraus hinterher schielen konnte, wie er auf seinem Mountainbike davon sauste.

 

Was hatte ich falsch gemacht? Ich überlegte lange, bis mir aufging: Die Ebene, auf der er sonst zu kommunizieren pflegte! Er stand nun mal auf die emotional-dramatische Schiene. Auf einer sachlichen konnte ich ihn nicht erreichen. Also heckte ich einen neuen Plan aus. Wie konnte ich ihm etwas so sagen, dass er es auch verstand - es bei ihm ankam? Er sich hinterher auch daran erinnerte? Selbstmord war von Anfang an immer sein Lieblingstheater gewesen, vielleicht musste ich es anders angehen. Mehr Action einbauen. Das war seine Kommunikationsebene: IchDuErSieEsWirIhrSie - bringen uns alle um.

 

Als er am Abend wieder bei mir vorbei geschneit kam, tat ich, als wollte ich bei seinem Hobby mitmachen. Holte meine alten Pferdeführstricke aus der Mottenkiste, machte das Halfter ab, zeigte ihm, wie man Galgenknoten knüpfte, wobei ich vor lauter Schabernack vor mich hin grinste.

Das schien ihm zu gefallen.

Er stieg direkt drauf ein und jammerte los:

<< OoooOOOooooOOOoooh, das ist ja alles soooo schlimm. >>

Bereits halb vom Tisch aufgestanden versuchte er, mir das Pferdehalfter und den Führstrick zu entreißen. Ich überließ ihm das Teil bereitwillig, schließlich war es nur ein Requisit, welches ich nicht zwingend benötigte.

<< Siehst du? Das meine ich. Kaum spreche ich über so einen Thema, hörst du auf einmal zu. Sag mal: Warum kann man sich eigentlich nicht mit dir ganz normal über alltägliche Dinge unterhalten? Wir müssen doch unsere Zukunft planen. Also ich zumindest möchte meine planen. Wenn du darin eine Rolle spielen willst, musst du dich schon dazu bequemen, vernünftig mit mir darüber zu reden! >>

Dabei wusste ich gar nicht so recht, worüber ich eigentlich mit ihm reden wollte... Hmm, ich hatte mir gar keine Forderungen zurecht gelegt, nach denen er sich zu richten haben würde... wollte mich einfach nur auf gut Glück einmal mit ihm auszusprechen versuchen.

<< Du darfst das nicht tun!!! >> jammerte er theatralisch und öffnete das Fenster.

Verwirrt beobachtete ich, wie er meinen Plünn, den er immer noch in der Hand hielt, als sei dieser gefährlich, aus dem Fenster zu hielt. Hallo? Was sollte das denn werden!

<< Hey, was machst du denn da? >>

Sein Verhalten ergab keinen Sinn. Wieso hielt er meine Sachen aus dem Fenster?

<< Hey, Stop! >>

Und schon waren sie weg, meine geliebten Pferdesachen. Er hatte sie fallen gelassen.

<< Ouh, Mann... >>

Ich stützte meine Kopf in die Hand. Was für ein Idiot. Schnallte der denn gar nichts? Mein Fehler, so schaltete ich bald, war, ihn nach wie vor, nach allem, was passiert war, für zurechnungsfähig zu halten. Und für lernfähig.24

Ihm zu erklären, dass ich ganz und gar die Schnauze voll von diesem Suizid-Blödsinn, den er tagtäglich verzapfte, als hinge sein Leben davon ab, hatte wahrscheinlich überhaupt gar keinen Sinn. Trotzdem versuchte ich es.

<< Alter, Jesus! Komm mal runter! Ich habe einen Scherz gemacht, verstehst du? Das war ein WITZ! Geht das in deinen Schädel rein oder muss man dir dafür erst ein Fax schicken. Mein lieber Gott. >>

Wieder stützte ich meinen Kopf verzweifelt in die Hände, rieb mir das Gesicht.

<< Mann ey, du kannst doch nicht einfach meine Sachen aus dem Fenster werfen. Was sollen denn die Nachbarn denken! >>

Noch war es nicht zu spät. Wenn ich jetzt runterginge und die Stricke, die vermutlich nur ganz sacht und unbemerkt auf dem Rasen gelandet waren, wieder hoch holte, würde bis zum Morgen vielleicht niemandem etwas auffallen sein. Das durfte ich nicht vergessen - also sollte ich es am besten bald tun. Ich wollte niemanden verärgern. Die Nachbarn, die ganz unten im Haus mit wohnten, waren Ordnungsfanatiker mit Golfrasen, welcher täglich manikürt werden musste.

Entrückt jammerte er vor sich hin.

<< Ja ja, da können wir gleich noch drüber reden, >> sagte ich zu ihm.

<< Erstmal muss ich das Zeug wieder raufholen. >>

Ich schlüpfte in meine Schuhe.

<< TU DAS NICHT!!! >> rief er mit sorgenvoll gerundeten Augen.

Häh? Was?

<< Warte bitte einen Moment. Bin gleich wieder da. Ich muss nur kurz die Sachen holen... ja? Beruhige dich. >>

Einen Schuh mit zugebundenem Schnürsenkel, einen offen, fragte ich:

<< Was hast du schon wieder für ein Problem? >>

Schwer atmend ließ er sich auf das Bett fallen.

 

Ich sah es ein: ich würde warten müssen, den Plünn zu einem späteren Zeitpunkt wegräumen. Dass ich die Sachen jetzt nur aufräumen wollte, weil sonst die Nachbarn sicher ungehalten reagieren würden und er hier der Einzige war, der sich dafür zu interessieren schien ob er-sich, oder ich-mir, oder was-auch-immer-wer-sich-wann/wie-antun würde, schien er nicht zu begreifen. Hallo-hoh! Ich war im neunten Monat schwanger? Da begeht doch keiner Selbstmord! So ein Quatsch!!! Das wäre ja dann theoretisch nicht mehr nur allein ein Selbstmord, sondern sogar schon Mord!

 

Ich setzte mich für einen Moment zu ihm. Nach ein paar Minuten, als sein Atem wieder ruhiger zu gehen schien, hielt ich noch einmal eine lange Ansprache, dass ich doch nur endlich einmal für klare Verhältnisse sorgen wollte!!! Was war denn daran bitte so schwer zu verstehen? Ich fand viele passende Worte, die Situation so verständlich und klar formuliert darzulegen, dass ich auf einmal sehr zufrieden mit mir war. Mit dem Rücken zu ihm sitzend konnte ich gar nicht sehen, wie er darauf reagierte. Als ich mich zu ihm herumdrehte, war er eingeschlafen.

1 (leider vor allen Dingen Profit-orientierte)

2 (nein, Esoteriknazis stellen tatsächlich nicht die bessere Hälfte der Menschheit)

3 (reklamiert einer Nonsense, bekommen die meisten das gar nicht mit)

4 (Ja - auch aus meiner Sicht ergab das keinen Sinn)

5 (im Idealfall sinnfreie)

6 (sei es bloß durch ihre eigenen, unkontrolliert dahin plappernden Gedanken)

7 (in der Regel, so musste ich in meinem Leben leider feststellen, ist es das nicht)

8 (auch nicht vor den begrenzten Vorstellungen, denen ein gewöhnlicher Mensch unterliegt. Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen)

9 (nicht jedes ist ein Professor, das ist auch hier eher die Ausnahme - aber sie sind sehr viel klüger und menschlicher als manch ein Mensch)

10 (zumal auch keine Motivation dazu vorhanden ist, weil dieses Verhalten für mich keinen Sinn ergibt)

11 (Du siehst mich nicht - weil ich dich nicht sehe)

12 (evtl. Traumata, welche als schwarze Löcher besonders hervorstechen)

13 (völlig unabhängig davon, was aufgetischt wird - von mir wollte einmal jemand Beifall dafür erhalten, seiner Freundin, da diese es gewagt hatte, von ihm schwanger zu werden, im vierten Monat in den Bauch getreten zu haben. Hallo?)

14 (welche sie nicht einmal ihrem Psychotherapeuten, besten Freund oder den Eltern erzählt haben)

15 (und wenn Du mein Feind bist dann darf ich dich bekämpfen)

16 (wobei das Feindbild selbst sich extrem variabel gestaltet)

17 (für mich in dem Augenblick sichtbar werdend, in dem ich in diese Augen hineinsehe)

18 (völlig unabhängig von der Frage nach der Hygiene)

19 (wobei es einigen Nachdrucks bedurfte)

20 (fand aber scheinbar keinen)

21 (nur sehr viel krasseres)

22 (auch, um sie zu schützen, denn ich war so wütend, dass ich am liebsten handgreiflich geworden wäre - die sollte zusehen, dass sie schnellstmöglich Land gewann)

23 (oder gar nicht mehr)

24 (ich lernte es wohl nie!)



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