XXI.

Die Polizei war gar nicht so untätig gewesen, wie es den Anschein machte: Stand jemand unter gesetzlicher Betreuung, gab es einen Eintrag in die Personalakte, welcher die werten Herren Beamten bei einem Einsatz,1 verpflichtete dem jeweiligen Betreuer Bericht zu erstatten. Ich (nichts ahnend) schlief derweil noch den Schlaf der Gerechten.

 

Gleich morgens schon rief der der Entfleuchte mich wieder an:

<< Morgen. Bei dir alles in Ordnung? >>

Ha! Pech gehabt! Es geht mir tatsächlich gut. Ich betonte:

<< Ja, warum? >>

<< Kann ich vorbeikommen? >>

Muss das sein?

<< Warum? >>

<< Ok, bis gleich. >>

Ohne seinen Medikamenten Rausch. Na gut. Möglicherweise konnte man ja tatsächlich so etwas wie ein Gespräch zustande bringen. Ich machte Kaffee. Kurz darauf traf er ein.

 

Wir setzten uns hin. Klärten, was in Wirklichkeit abgelaufen war. Sich dafür entschuldigend, gestand er, dass er, damit diese ihn überhaupt zu mir ließ, seiner Freundin vorspielte, dass ich mir -immer mal wieder- das Leben zu nehmen drohte. Falls er ihr nicht ernsthaft klar machen konnte, dass er mich "retten" musste, lies sie ihn gar nicht erst weg.

 

Das erklärte natürlich auch den nächtlichen Besuch von der Polizei. Was für eine bescheuerte Situation! Um so wichtiger, einzusehen, dass es so nicht weitergehen konnte! Wenn man sich belügen musste, um miteinander auszukommen, was war denn das dann für eine Beziehung? Ob er ihr denn nicht endlich mal die Wahrheit sagen wollte? Ich brachte meine Verachtung zum Ausdruck. Plötzlich klingelte es. Die Stimme,2 kam mir bekannt vor, so dass ich beschloss, die Türe in diesem Fall gar nicht erst auf zu machen. Was tat denn Jack da? Zu meinem Entsetzen ging er hin und öffnete, ganz brav. Nun musste ich mich mit denen auch noch herumschlagen! Na, herzliches Dankeschön. Nun, daran war jetzt auch nichts mehr zu ändern, darüber aufregen konnte ich mich später noch.

<< Wir haben keinen Termin. Sie können hier nicht einfach rein schneien, wie Sie Lust haben! Wenn Sie mich sprechen wollen, rufen Sie mich an und machen einen Termin aus. Dann können Sie noch einmal wiederkommen. Und jetzt: gehen Sie bitte. >>

Sie gingen nach dem üblichen Schema vor, wollten, ohne mich weiter zu beachten, in den Wohnbereich eindringen. Diesmal stellte ich mich, dieses Verhalten schon gewöhnt, ganz gezielt in den Weg. In diesem Augenblick spürte ich, wie jemand mich an meinem Arm von der Türe weg zerrte. OMG. Er war scheinbar darauf aus, so einen höflichen Hausherrn heraushängen zu lassen. Mir blieb gar nichts anderes übrig: Ich seufzte laut, gab mich geschlagen.

 

<< Ok. Wenn es denn sein muss. >> stöhnte ich auf und führte das Grüppchen ins Wohnzimmer, gab ihnen mit Gesten zu verstehen, dass sie sich setzen sollen.

<< Was war denn heute Nacht hier los? >> fragte der Bratzenzirkus.

Ich wandte mich an Jack:

<< Du? Übernimmst du das hier für mich, bitte? >>

<< Aber,... was soll ich denn machen? >> fragte er panisch.

<< Du erklärst den Damen fein all das, was du mir eben erklärt hast. Das dürfte ja nicht allzu schwer sein. Oder? >>

<< Wie, was?? >>

<< Na, unser kleines Missverständnis >> blinzelte ich verschwörerisch.

Erbsenhirn.

<< Entschuldigt mich bitte kurz. >> rauschte ich ab.

Eigentlich hatte ich vor gehabt, in die Küche gehen, um allen einen Kaffee anzubieten. Kaum hatte ich mich jedoch den Raum verlassen, fiel mir siedend heiß wieder ein, dass solch Kroppzeug von mir grundsätzlich keinen Kaffee serviert bekommen konnte. Soweit kam es hier noch, dass ich den Feind verköstigte. Unverrichteter Dinge kehrte ich zurück und setzte mich, die kleine Gesellschaft erwartungsvoll betrachtend.

Sein EInsatz nahte. Er fing an zu sprechen:

<< Oooch , ich wußte ja gar nicht, daß die Kleine da schizo is....>>

Er zeigte mit dem Finger auf mich. Hallo? Was sollte das denn werden? Wollte der etwa aufs Maul?

<< Ihr Vater hat das zwar erwähnt, aber ich habe es erst gar nicht ernst genommen. Und dann fing das alles an, mit der ganzen Scheiße. >> sagte er bekümmert, sich offentlichtlich selbst bemitleidend.3

Ich war so verblüfft, dass mir zunächst die Worte fehlten.

Soleich legte er vorwurfsvoll nach:

<< Dauernd droht sie damit, sich etwas anzutun >>

Hallo? Das war doch er? Wer rief mich denn immer wieder, voll auf Koks, um Mitternacht an, um mir mit diesem Schwachsinn die Ohren vollzuheulen!

<< ... und dann diese ganze "Stimmenhörerei"! >>

Ich war baff.

Dann platzte ich:

<< Du SCHWEIN! LOS, RAUS HIER!!! Und lass dich hier NIE WIEDER blicken! >> brüllte ich los.

Es muss sehr laut gewesen sein. Ich ging schon einmal vorraus bis zur Türe, die ich öffnete. Dort baute ich mich abwartend auf, die Hände neben meinem mittlerweile enormen Bauch wieder einmal zu kleinen Fäustchen geballt. Da kam er, die Sau. Raus mit dir, du Arschloch.

 

Aber statt nun durch die Türe und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden...? ... Drückte der die glatt wieder zu! Von Innen? Er sollte doch gehen!! Also riß ich sie gleich wieder auf, deutete mit ausgstecktem Finger auf das Treppenhaus. Was tat er? Machte sie wieder zu! Langsam kam die Dämmerung: ... wat geht ´n hier ab....!?

<< Was soll denn das?!! >>

Er reagierte wie deutsche Ämter: 4

<< Ich bin hier nicht zuständig. >>

Aha? Stop. Was??

Er wies in Richtung Wohnzimmer:

<< Frag doch mal die beiden Damen danach. Die haben mich darum gebeten, noch ein bisschen zu bleiben. Zumindest so lange, bis das Ganze hier geregelt ist. >>

Den Pferdegesicht-Bratzenzirkus, der keinwässerchentrübend mit gefalteten Händen demonstrativ verschüchtert im Flur stand, sollte ich fragen?Nein. Mit sowas sprach ich nicht. Das war unter meiner Würde. So etwas besaß keine Existenzberechtigung. Höchstens die, einen Tritt in den Arsch zu bekommen. Völlig verständnislos ging ich wieder dazu über, die Türe aufzureißen, um diesen Spinner hinaus zu befördern, damit ich anschließend für Ordnung sorgen konnte.

<< Die Ambulanz kommt ja gleich. Es dauert nicht mehr lang. >>

Na. Das soll mal einer verstehen!

Und was machte er, wo ich ihn doch aufgefordert hatte, meinen Wohnraum zu verlassen? Hielt mich fest. Alter, geht´s noch?

Und dann? Kam tatsächlich eine Ambulanz. Und es wurden immer mehr Personen. Man könnte meinen, bei mir gäbe es etwas für umsonst.

 

Allein schon der Gedanke an meinen letzten Krankentransport wirkte auf mich nicht gerade inspirierend. Besser, wenn ich auf alles vorbereitet wäre.5 Also fing ich an, fein säuberlich Kleidungsstücke zusammenzulegen und Dinge einzusammeln, die ich für einen längeren Krankenhausaufenthalt gebrauchen würde. Etwas traurig stimmte mich der Anblick meiner über alles geliebten Engelstrompete im Bad, die jetzt blühte und so schön roch - nach zwei Wochen Durst wäre sie sicherlich bald hinüber.

 

Als dann auch noch so ein bärtiger, bulliger Typ reinkam und mich auf Schritt und Tritt bewachte - ich durfte nicht einmal alleine auf die Toilette:

<< Oh, was wollen Sie darin, Oooh, machen Sie ja keinen Unsinn! >>

da bekam ich wieder einmal zuviel.

Das konnte nicht wahr sein! Warum? Warum??? Warum!! Ich versuchte, mich zu beruhigen. Schloss die Augen, praktizierte meine Atemtechniken. Seit Wochen suchten mich bereits gelegentlich Vorwehen heim. Ich durfte mich nicht so aufregen. Das war nicht gut für mein Kind und auch nicht gut für mich. Wenn keinem auffiel, wie maßlos dumm man sich verhielt, dann musste ich eben allein dafür sorgen, dass ich mich etwas entspannte. Gut, dass ich diese Techniken gelernt hatte. Atmen und entspannen. Und wer einmal Pranayama betrieben hat, der weiß auch, dass über die Atmung Muskel und Herztätigkeit gesteuert werden können. Ich sah meine tolle neue Freundin, wie sie schon wieder ihrem Hobby nachging, meine Sachen zu durchwühlen. Fast hätte ich ihr einen Vortrag über Atemtechniken und fernöstliche Entsapnnungspraktiken gehalten. Ich kicherte. Aber nur fast. Erbensgehirne sind für so etwas nicht geschaffen. Sinnlos. Also gut. Nochmal von vorne.

 

Vollkommen ruhig wies ich sie noch einmal darauf hin, daß keine Notwendigkeit bestünde, solch einen Auffuhr zu veranstalten. Sie hörte mir nicht zu.

 

Das war echt zum Schreien! Versteckte Jack da gerade in bedächtiger Zusammenarbeit mit dem Bärtigen mein Plastikbesteck unter dem Sofa!? Wollten Sie damit allen Ernstes den Eindruck erwecken, dass eine hochschwangere Frau, die sich als ansprechbar, gut orientiert, friedlich, sowie vollkommen ruhig und gelassen erweist, die Idee haben würde, mit Plastikgabeln auf irgendjemanden loszugehen? Idiotenpack!

 

Wie oft war Jeck mit Küchenbesteck auf mich losgegangen. Alles, was mir (und dem Kind) gefährlich werden konnte, hatte ich vorerst tunlichst aus meinem Haushalt verbannt. Zuletzt hatte er die Tapezierschere für sich entdeckt. Deshalb besaß ich nur (vollkommen ungefährliches) Plastikbesteck.

 

Ich versuchte es weiter mit meinen Kommentaren:

<< Hören Sie. Ich weiß nicht, was die Nummer hier soll. Vielleicht können Sie sich das nicht vorstellen, aber: Möglicherweise liegt ein blödes Mißverständnis vor. Wollen SIe nicht zunächst mit mir gemeinsam versuchen, das aufzuklären? >>

Dafür müsste man aber zunächst diesen Typen wegschicken, dachte ich im Stillen. Denn den müsste ich dafür anschwärzen, was ein Risiko darstellte. Aber sie war eh - blind, taub, blöd, alles zugleich:

<< Das ist egal. Wir fahren jetzt erstmal zum Arzt. >>

<< Aber was sollen wir denn da? Es besteht absolut kein Grund dafür! >>

<< Der wird darüber entscheiden, ob ein stationärer Aufenthalt erforderlich ist. Dann werden wir weiter sehen. >>

Ja, klar. Stationärer Aufenhalt. Diese Märchen sollte sie ihrer Großmutter erzählen.

<< Ey, da hab grad ich sowas von keinen Bock drauf. >>

Was war denn das für ein komisches Geräusch? Die lachte mich aus! Wow. Mutig. Das würde ich mir merken. Sie zahlte schon wieder ein.

<< Na, das ist nicht deine Entscheidung! >>

Ich platzte fast.

<< Das werden wir ja sehen. >>

Sich für nichts zu schade, antwortete sie:

<< Ja, das werden wir dann wohl. >>

 

Erneut in einen Krankenwagen. Wir fuhren zu einem "Notfall-Termin" in die Praxis einer niedergelassenen Ärztin aus der Gegend, die ich nicht kannte. Kackbratze tat derweil so, als sei sie nicht mein Feind, salbaderte mich mit Unsinn voll. Ich sah aus dem Fenster. Am späten Vormittag schien bereits die Sonne. Was sollte denn einen so schönen Herbsttag schänden... Warum musste michjetzt unbedingt am Arm fassen und auf mich einquasseln, als gäbe es dafür einen Preis zu gewinnen?

<< Beruhige

dich. >>

Hörte Sie sich eigentlich selbst zu?

<< Das ist alles gar nicht so schlimm. Bald geht dir wieder besser. Ich habe Erfahrung mit so etwas. >>

Halts Maul, Kackbratze. Echt. Sonst stopf ich es dir.

 

Ich hörte nur mit einem halben Ohr zu. Wer rechnet denn schon mit so etwas! Das war ja beinahe genauso bescheuert meine erste Zwangseinweisung. Okay, nicht jede Frau kam in langem schwarzen Mantel und Armeekleidung mit Struwwelpeterfrisur daher, aber deshalb gleich in die Geschlossene? Wie damals ging ich auch diesmal davon aus, dass sich dieses Missverständnis ganz einfach aufklären lassen würde, wenn ich nur endlich einmal an den richtigen Ansprechpartner geriete. Also einen, der mir zuhörte. Ich entspannte mich, ließ mich durch die Autofensterscheibe von der Sonne kitzeln. Sollten die Kackbratzen eben Kackbratzen sein, voll egal.

 

Ich betrat den Behandlungsraum. Die Ärztin, ein altes, faltiges aus allen Löchern krächzendes Mannsweib, stierte mich blöde an. Ich schien bereits Provokation zu sein, bevor ich überhaupt den Mund aufgemacht hatte. So würdevoll und selbstbewusst, wie ich ihr Refugium betreten hatte, passte ihr nicht in den Kram,. Ich lies gar nicht erst etwas anbrenne, ergriff das Wort, ohne zuvor von ihr dazu aufgefordert worden zu sein. Erklärte ihr, wie sich diese absolut oberdämliche Situation bei mir so ergeben hatte. Böse Falle! Ihre anfängliche, vielleicht sogar noch teilweise friedfertige Arroganz verwandelte sich direkt in unfriedfertige Tobsucht. Ihre Augen schossen wütende Blitze herum.

<< Meine beiden Begleiter, >> schloss ich meine Erklärungen ziemlich überheblich,

<< sind dumm. Sie haben einen Fehler gemacht. Ich habe ja versucht, sie darauf hinzuweisen, aber die hielten es ja nicht einmal für erforderlich, mir zuzuhören! >>

Jou, auf die beiden Schnepfen war ich ganz schön sauer.

<< Soo nicht, junge Dame >>

Völlig außer sich darüber, dass ich sie nicht zu Wort kommen lies, verpisste die Ärztin in den Nebenraum, um erst ein mal ein Käffchen meiner tollen Begleitung zu trinken. Es dauerte ziemlich lange, bis sie wiederkam. Geduldig wartete ich ab. Als sie endlich wieder kam, umspielte ein gehässiges Lächeln ihre schmalen, verbissenen Lippen...:

<< Sie werden jetzt in die Psychiatrie eingewiesen. >>

Hä??

<< Warum? >> fragte ich.

Sie schenkte mir ein abfälliges Grinsen.

<< Das kann ja gar nicht sein! Erklären Sie das bitte. >>

<< Jaaa, das... kann ich ihnen jetzt auch nicht erklären >> provozierte sie herum, ihre Macht Position bei jedem weiteren Atemzug auskostend.

Ich fing an, mich schon wieder aufzuregen, wollte erklären, dass ich nur unschuldiges Opfer eines Komplotts sei. Die Ex, die war schuld. Oder war ich die Ex? War ja auch egal. Aber: sie konnte das doch nicht bloß, weil jemand entschieden hatte, mitten in der Nacht grundlos die Polizei zu rufen, mich deswegen in die Psychiatrie einweisen!

Ich startete ein Kuddelmuddelgerede, welches nicht lange andauerte, bevor es wieder unterbrochen wurde.

<< Wollen Sie sich dieser Entscheidung nun widersetzen? Das wäre aber unfein. >>

<< Aber Sie können doch nicht... >>

<< Wer ist hier die Ärztin? >>

Ich verstummte.

<< Das ist nicht fair! >>

Sie lächelte, kramte in ihren Papieren.

OMG. In die Psychiatrie??? Wo hin?

Als ich fünf Minuten später auf den Flur abgeführt wurde, fiel mir ein, dass ich auf keinen Fall ins LKH Osnabrück überstellt werden durfte, denn dort wartete Dr. Kitzler, der Schlächter.

<< Darf ich bitte einen Wunsch äußern? >>

Kackbratze plus Schlampe sahen mich verwundert als, als sei ich ein Karnickel, das auf einmal zu sprechen begonnen hatte.

Ich wollte zu Prof. Dr. Glitzer. Nicht zu seinem Kollegen, diesem Zwangsabtreibungen einfordernden, geilen Bock von Kitzler.

<< Ich möchte gerne in die Westfälische Klinik. Die kenne ich. >>

Auch ich war damit an der Reihe, überrascht zu werden. Instinktiv war ich davon ausgegangen, auch jetzt wieder übergangen werden zu können, aber nein! Es konnte auch zugehört werden. Ging doch! Aber warum denn erst jetzt? Warum hatte man denn nicht schon viel eher festgestellt, dass ich ansprechbar war und dazu in der Lage, mich zu artikulieren? O mann, soviel Dummheit auf einen Haufen, das war kaum noch auszuhalten! So kam ich dazu, zum zweiten Mal in meinem Leben in eine geschlossene Anstalt eingeliefert zu werden. 6

 

 

1 (auch bei einem völlig sinnlosen, das war gleichgültig)

2( Schlampenalarm!)

3 (während mir die Augen übergingen)

4 (von Warteleitung zu Warteleitung schickend)

5 (eigentlich völlig sinnlos, aber ich hatte ja schon am eigenen Leib erlebt, wie sowas laufen konnte! Gesunder Menschenverstand zählte dann nicht mehr...)

6 (in dem "Arztbericht" hieß es dann wieder: "Rededrang" -> als sei mein Versuch, mich meiner Situation, in die ich geraten war, wegen zu erklären zu versuchen, Symptom einer Erkrankung. 



Datenschutzerklärung
powered by Beepworld