Wir rissen uns bis auf den letzten Drücker zusammen. Meine Tochter sollte nicht in der Psychiatrie zur Welt kommen. Die paar Tage bis zum ins Haus flattern des schriftlichen Bescheids zur Aufhebung des Gerichtsbeschlusses würden wir schon noch durchhalten.
Aber nein. Soviel Geduld besaßen die Ärzte im Krankenhaus nicht. Sie wollten das Kind schon vorher auf die Welt holen, ganz ganz unbedingt. Man textete mich zu: Kindeswohlgefährdung, falls ich mich dem widersetzte. Ich widersetzte mich nicht. Ob ich einem Kaiserschnitt zustimmte? Nein. Dann eine Rückenmarksanästhesie. Schließlich sei ich so zart und zerbrechlich, nicht belastbar. Die Geburt eines Kindes wäre zu hart für mich. Frau Dr. D.
Völlig entgeistert sah ich sie an.
<< Wie kommen Sie darauf? >>
<< Schauen Sie sich doch mal an. >>
Was war denn das für ein Argument?
<< Wie? >>
<< Haben Sie sich schon mal im Spiegel angeschaut? >>
Natürlich hatte ich das.
<< Ja. Na, und? >>
<< Sie sind viel zu schwach. >>
<< Da kennen Sie mich aber schlecht. >>
<< Das glaube ich nicht. Sie schätzen sich falsch ein. Übernehmen Sie sich nicht. Denken Sie wenigstens darüber nach, ja? >>
<< Das brauche ich nicht. >>
Nun war sie verärgert.
<< Wenn Sie meinen. Mehr als versuchen, ihnen das nahezulegen, kann ich nicht tun. Wenn Sie nicht wollen, kann keiner ihnen helfen. >>
<< Sie würden mir sehr damit helfen, wenn Sie mich endlich in Ruhe ließen. Gehen Sie bitte. Danke. >>
Ich war die Freundlichkeit in Person.
Wenn sie gewusst hätte, was ich bisher so alles durchgemacht hatte, würde sie nicht so tönen. Ich war stark, glaubte an mich. Warum sollte, was tausende andere Frauen hin bekamen, ein Problem sein, an dem ausgerechnet ich scheitern sollte? Gegen Versuche, mir etwas anderes einzureden zu versuchen, erwies ich mich nun als immun. Ich hatte auf dem Bau genauso hart, dabei härter gearbeitet als meine männlichen Kollegen. Ich hatte auf der Straße gelebt, sogar im Winter. Ich war Gollum ausgeliefert gewesen und hatte es überlebt. Die konnten mich mal! Schwach und labil, die hatten doch keine Ahnung! Ich ließ mir keine Angst einjagen. Unverrichteter Dinge und damit offensichtlich sehr unzufrieden schob sie ab.
Man spritze mir ein Wehenmittel. Danach ging alles sehr schnell. Von einer Telefonzelle aus rief die Wohngruppenleiterin meiner ehemaligen Wohngruppe an. Sie sagte spontan zu, mir zur Seite zu stehen, stieg sofort in ihr Auto. Das gab mir Sicherheit. Irgendwoher wusste ich, dass es wichtig sein könnte, nicht mit diesen ganzen Bekloppten um mich herum allein zu sein. Oft genug hatte Jack es zu mir gesagt: Sie werden es dir wegnehmen.
Als sie eingetroffen war, fragte sie mich als Allererstes:
<< Hast du einen besonderen Auftrag für mich? Kann ich, soll ich irgendwas für dich tun? Hast du Geburtsvorbereitungskurse mitgemacht? >>
Sie war toll. So ruhig und sachlich, zielgerichtet, ohne Schnörkel.
<< Nein, habe ich nicht. Die hatte ich zwar gebucht, aber man hat mich ja in den letzten Wochen hier festgehalten. Deswegen konnte ich da nicht hin. >>
<< Ouh. Das ist doof. >> sagte sie, als sei das ein Problem.
<< Na, egal. Sei´s drum. Ich krieg´ das schon hin. Das sollte die kleinste unserer Sorgen sein. >>
<< Na gut >> lächelte sie und tätschelte vorsichtig mein Bein.
<< Und, wo du schon fragst: ja, ich habe einen Auftrag für dich. Der ist sogar sehr wichtig. Gut, dass du hier bist! Danke. >>
<< Was soll ich machen. >>
Einladend breitete sie ihre Hände aus.
<< Ich habe einige Probleme, die gar nichts mit der Geburt im Zusammenhang stehen, mich und das Kind aber bedrohen. Das alles zu erzählen, dauert zu lange, aber, ganz wichtig: tu mir den Gefallen und halte mir die Leute vom Hals. Ich brauche jemanden, der die Augen offen hält, damit niemand auf dumme Ideen kommt. Ok? >>
<< Ok. >> sagte sie, etwas verwirrt.
<< Wen denn? Doch wohl nicht die Ärzte und Hebammen oder? >>
<< Nein, die nicht. >>
Aber wer weiß...
<<Aber, wer weiß...? >> nuschelte ich vor mich hin.
Ich überlegte kurz, wie ich ihr das erklären sollte.
<< Auf jeden Fall darf der Kindesvater nicht hier rein. Das kannst du auch den anderen sagen. Der Typ ist vollkommen Gaga in der Birne, und für die meisten meiner Probleme verantwortlich. Der bekommt auf jeden Fall Hausverbot. >>
<< Ok. >> sagte sie, schon etwas selbstsicherer.
<< Sonst noch irgendwer? >>
Ich grübelte kurz vor mich hin.
<< Nein, vielleicht, also erstmal nicht. >>
<< Aber? >>
<< Na. Schau einfach, dass nichts komisches passiert. >>
<< Komisch? >>
<< Ja. Dass hier keiner irgendwie aus der Reihe tanzt, von den Anwesenden bzw denen, die vielleicht noch dazu kommen. >>
Den Schwestern, Hebammen, die sich zu den "pressen, pressen" Gesangs-Chören anschickten, sagte ich barsch, sie sollten ihren Mund halten, damit ich mich einigermaßen auf den Geburtsvorgang konzentrieren konnte. Die ganze Zeit über war meine temporär Verbündete in der Nähe und passte auf mich auf.
Wow. Ich hatte zwar schon Einiges erlebt, beispielsweise vor Erschöpfung einfach umzufallen, um an Ort und Stelle einzuschlafen, aber das! War echt heftig. Und wenn ich das sage, dann hat das was zu bedeuten, denn ich halte viel aus. Mein Kind wollte mit dem Ellbogen zuerst auf die Welt kommen. Und als wenn das noch nicht ausreichte, das Ganze auch noch innerhalb kürzester Zeit. Durch das verabreichte Wehenmittel fand die Geburt in einer unnatürlich hohen Geschwindigkeit statt, so dass bei diesem Vorgang alles unkontrolliert aufriss.
Sie war ein ganz schöner Brocken. Überall Haare, nicht nur auf dem Kopf, sondern am ganzen Körper. Sogar an den Ohren! Ein kleiner Werwolf! Die Haut war leicht gelblich. Zusammen mit den Schlitzäuglein hatte man den Eindruck, ein Kind von asiatischer Herkunft zu betrachten. Mein erster Gedanke nach der Geburt war: Mein Kind hat Quadrat-Latschen. Man legte sie mir in den Arm. Alles war gut, ich zwar erschöpft, aber glücklich vereint. Meine Beschützerin fuhr wieder nach Hause.
Ich durfte mein Mädchen zwei Minuten lang in den Armen halten. Danach nahm man sie mir weg und fuhr mein Bett in irgendein Krankenzimmer, in welchem ich, von einer Pflegekraft bewacht, darauf wartete, mein Kind wiederzubekommen. Den ganzen Tag.
...
<< Wo ist mein Kind. >>
<< Auf der Säuglingsstation. >>
<< Warum? >>
<< Es wird untersucht. >>
...
<< Wo ist mein Kind? >>
<< Auf der Säuglingsstation. >>
<< Wann darf ich mein Kind sehen? Das kann doch nicht so lange dauern! >>
<< Ruhen Sie sich aus. >>
...
<< Wo ist mein Kind, warum ist mein Kind nicht bei mir? >>
<< Es ist auf der Säuglingsstation. Alles ist gut. Es wird dort gut versorgt. Regen Sie sich nicht auf. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Alles ist ganz normal. Das ist so, damit Sie sich von der Geburt erholen können. Ruhen Sie sich aus. >>
<< Ich will mein Kind sehen. >>
<< Stehen Sie bitte nicht auf, Sie müssen sich jetzt erholen. >>
...
Ich ruhte mich nicht aus. Mein Kind war um ein Uhr Mittags zur Welt gekommen. Nachdem ich bis Mitternacht gewartet und immer wieder gefragt hatte, wann mein Kind denn endlich zu mir kommen würde, man aber darauf dauernd mit nichts anderem als Ausflüchten reagiert hatte, wurde ich energischer:
<< Wo ist mein Kind? Ja ja, ich weiß schon, angeblich auf der Säuglingsstation. Ich will es sehen. Mein Kind gehört zu mir, es soll bei mir sein, hören Sie? >>
<< Ruhen Sie sich aus, Sie sind müde von der Geburt. >>
<< Natürlich bin ich müde von der Geburt und möchte mich ausruhen! Aber nicht, solange mein Kind nicht bei mir ist! >>
Ich brüllte fast. Atmen, entspannen.
Nochmal:
<< Entweder Sie bringen mir jetzt endlich mein Kind, oder ich stehe auf und gehe es mir holen. >>
<< Nein! Stehen Sie bitte nicht auf! >>
<< Dann gehen Sie und bringen Sie mir meine Tochter. >>
<< Warten Sie. >>
Endlich kam sie. Endlich konnte ich schlafen. Obwohl ich hundemüde gewesen sein muss und auch erst eine Stunde geschlafen hatte, wurde ich von dem inneren Gefühl aufgeweckt, dass mein Kindlein gleich erwachen und hungrig sein würde... Und: ich hatte Recht. Kaum fünf Minuten später fing sie an, sich zu bewegen und, dies begleitend, ein wenig zu japsen. Es war zwei Uhr Morgens. Um fünf noch einmal dasselbe Spiel: Wenn sie versorgt werden musste, war ich schon wach, bevor sie sich meldete. Zwischen uns herrschte eine einvernehmlich stille und friedliche Gesinnung. Sie sagte leise1 Bescheid und ich wusste ein paar Minuten vorher bereits, was sie brauchte.
Zum Glück war die Person, die dazu abgestellt worden war, mich zu bewachen, so nett, mir ein bisschen zu helfen. Die Krankenschwestern selbst bekam ich kaum zu Gesicht. Keiner erklärte mir irgendetwas, half oder leitete an. Trotzdem saß das ganze Wochenende über immer jemand im Raum und passte auf mich auf. Kaum zu glauben, aber die ließen mich nicht eher in Ruhe, bis am Montag darauf der schriftliche Bescheid darüber eingegangen war, der mich zum freien Menschen erklärte.
Gollum kam zu Besuch, mit einem Plastikblumenstrauß bewaffnet. Soviel Geschmacklosigkeit auf einmal hatte ich ihm gar nicht zugetraut! Wo hatte er den denn aufgetrieben? Ich schüttelte mich vor Lachen. Ohne konkrete Umwege landete das Teil im Mülleimer.
Mein Kindlein schrie nicht. Ein Tag verging, ohne dass sie Baby-mäßig geweint, gebrüllt und herumgeschrien hatte.
<< Warum weint mein Kind nicht? >> fragte ich.
<< Was? >>
<< Alle Kinder weinen. Wieso weint mein Kind nicht? >>
<< Es ist müde von der Geburt. >>
<< Ach so. >>
Als es am dritten Tag immer noch nicht weinte, kam man zu mir, und fragte mich:
<< Warum weint ihr Kind nicht? >>
Zumindest atmete es! Das war doch schon mal was.
<< Also, dasselbe habe ich Sie vor zwei Tagen auch schon gefragt! Da haben Sie mir gesagt, es sei müde von der Geburt. >>
Der Aufgabe des Stillens als blutige Anfängerin erst einmal nicht gewachsen, war ich damit überfordert. Nach ein paar Tagen der Praxis war plötzlich alles blutig und schmerzte. Dass das am Anfang einer Stillphase ganz normal ist,2 konnte ich junge Mutter ja nicht wissen. Ich krampfte, die Milch staute sich. Keiner half. Man hatte es von Anfang an nicht gern gesehen, welch intensive Bindung wir zueinander hatten, hoffte scheinbar darauf, mir mein Kind bald wegnehmen zu können. Dass ich meine Tochter obendrein auch noch stillte, sah man offenbar nicht gern. Dauernd belatscherte mich irgendjemand damit, dass ich besser abstillen sollte. Man versuchte, mir die Vorteile der Flaschennahrung ans Herz zu leben. Ich weigerte mich. So kam es, dass sie die Kleine zwischendurch immer wieder weg nahmen, um ihr heimlich Flaschennahrung zu verabreichen. Das gefiel Mia nicht. Auf einmal konnte sie schreien, was erschreckend laut gewesen sein muss.
<< Was ist denn das für ein Satan >> war der schockierte Kommentar im Säuglingsraum, wie man mir hinterher, als ich mir Mia wiederholen wollte, berichtete. Dort verstand man sowieso nicht, warum Mia soviel Zeit im Säuglingsraum verbrachte. Was das wohl sollte, fragte ich mich voller Misstrauen.
Nun wollte man mir weismachen, die einzige Lösung für mein Milch-Stau-Problem sei, doch endlich die mir als Allheilmittel offerierten Abstilltabletten einzunehmen. Gar nicht glücklich, versuchte es erst einmal mit massieren. Ich dürfe das Kind nicht mehr anlegen, sonst käme noch mehr Milch. Dann kam das Fieber. Alles war schmerzhaft angeschwollen. Ich fügte mich, nahm die Abstilltabletten ein. Auch, als mein Mialein für eine Weile in einem komischen Kasten mit blauem Licht liegen sollte, ließ ich es ohne Widerrede geschehen. Alles zum Wohl des Kindes.
Verwandte kamen zu Besuch, zügig das neue Familienmitglied begutachten. Dr. D nahm sich Zeit für ein Gespräch: Ich solle bei ihr bleiben. Sie wollten mich dabehalten. Es wäre alles so schön, in Quakenbrück, in der Psychiatrie.
<< Warum?>> fragte ich sie. Sie erzählte einen von postnataler Depression und anderen Wenns, die auf einmal bedrohlich den Horizont entlang tanzten.
<< Das kann ja schon sein. Aber: sehen Sie die Sache doch einmal so: Es geht mir gut! Was-wäre-wenn interessiert mich jetzt eigentlich, so leid mir das für Sie tut, überhaupt nicht. Klar, Probleme, die es geben könnte, gibt es immer. Damit kann man sich schier mit verrückt machen, wenn man will. Zum Beispiel: >>
Ich erhob den Zeigefinger, theatralische Pause.
<< Was wäre, wenn ich eine Grippe kriegen sollte? >>
Stirnrunzelnd schüttelte sie den Kopf.
<< Ja! Schließen Sie das mal nicht aus, das kann jederzeit passieren! Die Gefahr ist ganz real! - Selbstverständlich! Denken Sie da mal drüber nach, wenn Sie Zeit haben. Aber: solange es nicht so weit ist, möchte ich mir da bitte auch keine Gedanken drüber machen. WENN, da haben Sie natürlich Recht, WENN ich an irgendsoeiner Erkrankung leiden sollte, dann wäre es beruhigend zu wissen, dass es hier genug Ärzte gibt, an die ich mich hilfesuchend wenden kann. Dafür kann man schon dankbar sein. Im Moment allerdings... >>
ich redete ruhig und betont deutlich,
<< brauche ich diese Hilfe nicht. >>
<< In diesem Fall lassen Sie mir keine Wahl. Dann muss ich den offiziellen Weg gehen und das Jugendamt über diesen Vorfall informieren. >>
Was war das denn für eine verschwurbelte Ausdrucksweise?
<< Wieso das denn? Also, ich meine: von was für einem "Vorfall" sprechen sie bitte? Ach, das hier, alles hier? >>
Ich deutete um mich herum.
<< Sie sind der Vorfall. >>
Nun war es an ihr, verwirrt aus der Wäsche zu gucken.
<< Was? >>
<< Ich meine, das alles hier, die Nummer mit der Psychiatrie, das hätte nicht sein müssen. Deshalb wäre es sicher besser gewesen, >>
bedeutungsvoll sah ich Sie nun an,
<< ... wenn man mir von Anfang an besser zugehört hätte. >>
Sie antwortete nicht.3
<< Ist ja auch egal. Ich will mich damit jetzt nicht länger mehr befassen. Gut. War es das? Können wir uns nun darauf einigen, uns im Guten zu trennen, ja? Ich habe es Ihnen eben erklärt: Ich will einfach nicht. Da können Sie soviel reden, wie Sie möchten, daran wird sich nichts ändern. >>
OMG, holte sie etwa Luft? Nein! Bitte nicht noch weiter Reden! Ich schnitt ihr das Wort im Mund ab.
<< Ganz ehrlich? Ich sage Ihnen, was ich wirklich möchte. Ich weiß, was ich brauche. >>
Geheimniskrämerisch lehnte ich mich nach vorn.
<< Ich brauche Ruhe. >>
Theatralisch erhob ich meinen Zeigefinger.
<< Und die - habe ich zu Hause. Dort geht es mir GUT. HIER habe ich diese nicht. Hier fühle ich mich nicht wohl. Verstehen Sie das? Na, ich vermute: wahrscheinlich eher nicht. Na! Nicht falsch verstehen, ich bin nur gern realistisch. Versuchen sie wenigstens, mich zu verstehen: Hier - das alles: eine fremde Umgebung, überall fremde Menschen, die ich nicht kenne, mit denen ich mich aber trotzdem unterhalten muss, das ist Stress! Ich kann mich nicht entspannen. Das tut mir nicht gut. Trotzdem Danke dafür, dass Sie mir das Angebot gemacht haben und sich über mich Gedanken machen. Danke. Wirklich! >>
<< Ich muss das Jugendamt informieren >> insistierte sie wie ein Roboter.
Jesus, waren diese Menschen begriffstutzig.
<< Das Kind ist schließlich in der Psychiatrie geboren. >>
Heey, was für ein Argument! Deswegen hatte man auch den Geburtsprozess so schnell eingeleitet! Um es so aussehen zu lassen.4
Aber es stimmte nicht: Bereits in der Woche zuvor war die komplette Zwangseinweisung für gesetzteswidrig erklärt und der Gerichtsbeschluss aufgehoben worden.5 Ich empfand keine besonders große Lust, Haarspaltereien über dieses Thema mit ihr zu betreiben.
<< Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Das ist mir ziemlich egal. >>
Sie nickte militärisch.
<< Wenn Sie mich jetzt BITTE in Ruhe lassen würden? Das wäre nett. Ich bin müde und möchte, beziehungsweise muss mich jetzt ausruhen. >>
Das war ich auch schon vor unserem Gespräch gewesen. Sollte sie doch "informieren", wen sie wollte, wenn es ihr dann besser ging. Hauptsache, sie hörte auf, mich damit vollzuquatschen.
Also wartete ich an dem Tag, an dem ich entlassen werden sollte, aufgrund des von ihr an den Tag gelegten sinnlosen Aktionismus noch mehrere Stunden auf einen Vertreter vom Jugendamt...
Mann, Mann, Mann. Ich hätte schon längst zu Hause sein können. Warum musste ich immer allem zustimmen, was andere mir vorschlugen? Das war vertane Zeit. Ich war genervt. Und wartete. Und wartete und wartete und wartete. Bis er dann endlich antanzte. Tatsächlich handelte es auch schon wieder um eine Ausgabe von Wichtigtuer-Affen. Ein Arschloch, der meinte, mir einen erzählen zu dürfen. Kaum angekommen, legte er los mit:
<< Man macht sich große Sorgen um sie. >>
Sorgen. Ich konnte es langsam echt nicht mehr hören, dieses Wort.
<< Was? Warum. >> anwortete ich schlagfertig wie immer.
<< Sie sind wohl sehr, sehr krank. >> O.o
Hoppla!!? Er hatte mich vor einer Minute das erste Mal gesehen und glaubte, sich so ein Urteil über mich erlauben zu dürfen. Hatte dieses Etwas etwa sein Gehirn gar nicht erst von zu Hause mitgenommen? Wollte sich hier Kraf seines Amtes direkt selbst als Weißkittel mit aufspielen? Ein Wadenzwicker! Und das zu allem Überfluss auch noch, bevor er sich mit mir über die aktuelle Lage auseinandergesetzt hatte!
<< Was??? >>
<< Das muss Sie nicht verwundern. Schließlich sind Sie nicht einfach so an diesen Ort gekommen. Bis sie hier auf die Entbindungsstation überwiesen wurden, waren Sie bei den "Kollegen" der geschlossenen Abteilung in Behandlung. Frau Dr. Dusk hat mich glücklicherweise kontaktiert, um mir davon zu berichten. >>
Jo, Miss Tränendrüse. Mit meiner ausdrücklichen Erlaubnis.
<< Ja, sicher. Ich vermute, dabei hat sie selbstverständlich vollständig versäumt, mit zu berichten, dass ich zu Unrecht eingewiesen wurde, weshalb - im übrigen - >> spielte ich mich auf,
<< der Gerichtsbeschluss auch sofort wieder aufgehoben wurde. >>
<< Trotzdem machen wir uns Sorgen. Das ist unsere Aufgabe. Wenn, wie in ihrem Fall, eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, werden wir eingeschaltet. Damit wir, bevor irgendetwas anbrennt, zum Wohl des Kindes tätig werden können. >>
Wo war denn hier bitte die Kindeswohlgefährdung? Was laberte der für eine Scheiße? Halt die Fresse, you stupid fucking Asshole. Es folgten die obligatorischen Schweigeminuten, in denen ich nach Luft rang. Da das Vorhandensein von weiteren konstruktiven Gesprächsinhalten komplett abhanden gekommen war und mir nichts anderes als grobe Flüche einfielen, fragte ich frei heraus:
<< Und? Wars das jetzt? Oder gibt´s sonst noch etwas? >>
Das war die nette Version, mit der er sich zu seinem eigenen Vorteil besser zufrieden geben sollte. Es reichte mir allmählich, mit diesen Kleingeistern.
<< Sie müssen mit mir reden >> obligatierte er.
Aber worüber denn? Ich hatte keine Lust dazu, mich noch länger mit machtgeilen, narzistisch-kranken Persönlichkeiten herumzustreiten, die meinten, über mich und mein Leben verfügen zu dürfen, wie es ihnen gerade in den Kram passte.
<< Ich muss gar nichts. Wissen Sie was? Ich will nur noch eins: nach Hause. Mich ausruhen und erholen. Also: Würden Sie jetzt bitte gehen und mich meine restlichen Sachen packen lassen ? >>
Ich wollte eben nicht noch mehr unnütze Zeit vertrödeln.
<< Wenn sie jetzt nach Hause gehen, können sie das Kind gleich hier lassen. >> schallte es nun autoritär.
Alter, was hatte der gerade gesagt? Zu Äußern gewagt? Er hatte gesag: "das Kind", so, als sei sie irgendein sinnentlehrtes, bedeutungsloses Objekt.
Frau Dr. D stand die ganze Zeit unberührt daneben und glotzte sich in der Bemühung, unbeteiligt auszusehen, selbst ein Loch in den Bauch. Solche Drohungen waren für sie anscheinend vollkommen in Ordnung. Man erging sich in Untätigkeit. Als ich ihr aufgrund dieses oberaffenartigen Satzes des favorisierten Kompagnons einen Blick zuwarf, reagierte sie mit stillschweigender Zustimmung. Das würde ich mir merken. Frau Dr. D? Abgehakt. Gute Entscheidung, nicht länger von ihr behandelt werden zu wollen. Ich war nur von Spacken umgeben, ehrlich. Nur Spacken.
Dieser werte Herr hier bekleckerte sich auch nicht gerade mit Ruhm. Wie war er eigentlich zu den zweifelhaften Lorbeeren gekommen, Vertreter eines Amts darstellen zu dürfen, welches sich für das Wohl der Jugend in diesem Land einsetzen sollte? Mit welchem Recht nahm er sich solche Äußerungen heraus? Mal wieder kurz davor, vor Wut zu patzen, teilte ihm nun betont ruhig mit, dass es mir wirklich SCHEISSEGAL sei, Mit wem sie all kospirierten, was sie alles von mir wollten und verlangten - sie sollten sich damit nur ein bisschen beeilen. Ob ich denn jetzt vielleicht bitte weiter meine Sachen zusammen packen dürfte? Oder ob sie gedachten, noch mehr von meiner Zeit zu verschwenden.
Was für ein Auftakt zu einer erbaulichen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt. Ich hielt lieber meinen Mund, sonst würde man nachher noch meinen, mir hier wieder irgendwelche Schwierigkeiten machen zu dürfen. Ich wusste ja, wie schnell das gehen konnte. Nach dem Verstreichen der ersten peinlichen Schweigeminute machte er mir dann den Vorschlag, einen späteren Termin ausmachen zu müssen.
<< Jetzt, sofort. >>
War das nicht genau der Vorschlag gewesen, den ich ihm vor ein paar Minuten gemacht hatte ...? Bitte, lieber Gott, bitte-bitte, lass Gehirn regnen. Jetzt gleich, flehte ich verzweifelt gen Himmel.
<< Außerdem werde ich eine Hebamme bestimmen, die sie besuchen kommen wird. Mit dieser werden Sie zusammen-arbeiten, haben Sie das verstanden? Sie können sich nicht weigern! >>
Er hätte bei seinen Worten nur noch sich selbst salutieren brauchen. Was für ein Idiot! Tat nun auch noch so, als sei ich der Feind und verhielte mich unkooperativ. Dabei hatte ich mich doch zuvor sogar damit einverstanden erklärt, mit ihm dieses Gespräch zu führen! Was sollte das! War ich jetzt wieder der Gorilla? Sollte ich mich vielleicht unter den Armen kratzen und "Ugh, ugh" von mir geben? Derzeit kam ich mir eher vor wie ein Stier. Er wedelte mit seinem roten Tuch, das zur Profilaxe Gefahren abwehren sollte. Bald würde ich darauf losgehen.
Demonstrativ wandte ich mich meinem Gepäck zu, nestelte daran herum. Atmete ein paar Mal tief durch, bis ich wieder komplett tiefenentspannt war:
<< Hören Sie, ich weiß gar nicht, warum Sie so tun, als wolle ich nicht mit ihnen zusammenarbeiten. Ich habe mich doch schon dazu bereit erklärt, als Frau Dr. Dusk mich vor ein paar Tagen danach gefragt hat. Sonst hätte nicht einmal dieses Gespräch hier statt gefunden! Wie kommen Sie jetzt eigentlich auf den Trichter, mich unter Druck zu setzen und mir drohen zu müssen? Das gefällt mir nicht! >> sagte ich in warmherzig - entspannten Tonfall.
<< Sie müssen sich meinen Anordnungen fügen. >>
Ein Roboter, Sklave seiner anstudierten Autorität. Ich seufzte theatralisch. Er war total aus dem Häuschen, hörte gar nicht zu, wollte nur noch schauen, inwieweit sein Schwert-der-Macht bei mir funktionierte.
<< Mensch, ihr Leute macht alle so einen Stress. Was bringt Euch das eigentlich? Ist Euch langweilig, wenn ihr nicht so viel Stress auf einmal machen könnt, wie es nur möglich ist? Das nervt! >>
<< Weigern Sie sich jetzt, mit mir zusammen zu arbeiten? >>
<< Nein, ganz und gar nicht. Aber sie haben nicht zugehört! >>
Oder: kein Gehirn.
<< Wissen Sie, ich habe schon lange vor der Geburt von diesem... >>
Ich wies in Richtung meines Kindchens
<< … wunderhübschen Töchterchen eine Hebammenpraxis besucht, wollte dort eigentlich auch an Geburtsvorbereitungskursen teilnehmen, was aufgrund meines unplanmäßigen Aufenthaltes hier nicht richtig geklappt hat - ... >>
Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, genau. Die Hebamme.
<< ... und diese, wirklich sehr nette, junge und dynamische Hebamme, bei der ich war, hat mir fest zugesagt, die Nachsorge zu übernehmen. Warum soll ich die Hebamme denn jetzt wechseln? >>
Wie, ich wagte es tatsächlich, ihm zu widersprechen?
<< Das geht nicht. >>
Der Robotor: Gehorche, oder du bist des Todes, Weib!
<< Aber warum denn nicht? Vielleicht können Sie ja mit ihr sprechen, möglicherweise wird sie ebenso mit ihnen zusammenarbeiten wie die andere Hebamme, welche Sie da für mich auserkoren haben. Ich gebe ihnen gern die Telefonnummer. Telefonieren Sie mir ihr. >>
<< Sie MÜSSEN zustimmen. Anders geht es nicht. >>
Der nervte. Aber sowas von. Ich musste ihn unbedingt loswerden, bevor meine Hände ihren Weg in sein Gesicht finden würden.
<< Jaah..., klaahr..., machen se doch wat se wolln... >> nuschelte ich in mich hinein, wieder in den Dialekt meiner Geburtsstadt fallend.
Dumm, dumm, dumm, dumm, dumm, dumm, dumm..., meditierte ich nun vor mich hin, Atemtechniken zelebrierend. Was wollte dieser HIRNSCHADEN, dieser Pisser eigentlich von mir?!!!! Er schien sich auf jeden Fall um jeden Preis mit einem Psychiater/Richter/Gott - sonst was verwechseln zu wollen. Er hatte überhaupt kein Recht dazu, mir zu diktieren, was ich zu tun oder zu lassen hatte!
<< Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie eigentlich von mir wollen. Aber. Ich rate Ihnen eins: Sie sollten etwas Zurückhaltung üben. Der Gerichtsbeschluss ist tatsächlich aufgehoben. Und ich bin, das sage ich ihnen ganz ehrlich, absolut nicht bereit, in irgendeiner Form mit ihnen darüber zu verhandeln, wem meine Tochter denn nun "gehört".>>
Meine Tochter war ein Mensch, kein Verhandlungsgegenstand.
<< Ok. Ich bin einverstanden. Sie können gehen. Aber es wird eine von uns Beauftragte zu ihnen kommen, mit welcher Sie bitte kooperieren werden. >>
<< Mir völlig egal. Meinetwegen. Hauptsache, Sie lassen mich jetzt in Ruhe. >>
Das tat er dann zum Glück auch. Frau Dr D hatte sich6 mittlerweile verabschiedet, die feige Sau.
Kackbratzes Hackfresse hatte sich heute auch mal wieder blicken lassen. Gute Laune vortäuschend lugte sie plötzlich um die Ecke. Diese Heuchlerin! Ich bekam fast einen Herzinfarkt und sprach daraufhin kein Wort mehr, worüber sie sich direkt lautstark beschwerte. Kurzerhand löste ich die Versammlung auf:
<< Diese Person soll sich nicht bei mir blicken lassen. Sonst kann ich für nichts garantieren. >>
Sie gab ein abfälliges Geräusch von sich,7 machte sich aber wenigstens schnell wieder vom Acker. Das war eindeutig positiv.
Endlich zu Hause, fühlte ich mich, als sei nicht nur meine Tochter Mia zur Welt gekommen, sondern mit ihrem Auftauchen auch ich selbst noch einmal wiedergeboren. Von wegen pränatale Depression.
Das Licht des Sonnenuntergangs fiel durch die Blätter des Baumes vor dem Fenster. Gemeinsam malten sie (Sonne und Baum) ein farbenprächtiges, leuchtend oranges Lichtspiel an die Wand.
1 (und ohne dies laut zu äußern)
2 (man da eben einfach durch muss und es dann von alleine wieder besser wird)
3 (Wink mit dem Zaunpfahl mangels Aufprallfläche spurlos an ihr vorbeigegangen)
4 (später erfuhr ich von einem Sorgerechtsgutachter, dass man damals die Kinder in einem solchen Fall serienmäßig aus den Familien holte. Nur dass bei uns die Rechtsgrundlagen keine eindeutigen waren)
5 (vermutlich war genau das auch der Grund, weshalb Mia überhaupt noch bei mir war)
6 ("aus Zeitgründen")
7 (wie so ein Huhn)