XXIX.

 

Ich hatte mir nichts zuschulden kommen lassen. Um das nun anstehende Gutachten brauchte ich mir keine Sorgen zu machen.

Jede Warteschleife, auch eine wie diese, wo man von Mensch zu Mensch, und vor Behörde zu Behörde, und von Fachmann zu Fachmann weitergereicht wird, hat einmal ein Ende. Und an diesem musste einfach die Kompetenz und mit ihr eine Lösung auf mich warten. Meine Waffe angesichts ein jeder Situation: positives Denken. Positives Denken gab positive Ergebnisse. Dass man das Ganze nun auch noch über noch ein weiteres Ohr laufen lassen wollte, nur um sich nicht mit dem Arbeitsaufwand zu belasten, mir einmal aufmerksam zuzuhören, bedeutete ja eigentlich nur, dass ich noch einmal noch ein bisschen länger darauf warten würde müssen, dass mir mal endlich einer ernsthaft zuhörte. Was sollte schon passieren, außer, dass es eben Vater Staat noch mehr Geld kosten würde, diesem sinnlosen bürokratischen Aufwand zu betreiben. Ich sah der Begegnung mit dem vermeintlich aufmerksamen und netten Psychologen, der ganz in Ruhe und mit viel Zeit für aufmerksame Betrachtungen im Schlepptau zu Besuch kommen würde, um über mich/uns ein Gutachten zu schreiben, mit einer positiven Erwartung, die voller Hoffnung war, entgegen.

 

Über meine Fähigkeiten als Mutter sollte ein Urteil gefällt werden. An diesen zwar bislang nichts auszusetzen, glaubte man trotz alledem voraussetzen zu dürfen, dass ich mit meiner Rolle als Mutter vollkommen überfordert sein musste. Allein das Vorhandensein einer psychiatrischen Diagnose war dafür Beweis genug. Es musste also per se von dem Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung ausgegangen werden. Na, denn mal los!

 

Wir machten einen Termin. In der irrigen Annahme, es sei der werte Herr Psychologe, öffnete ich, als es an dem Tag das erste Mal klingelte, Gollum die Tür. Na toll. Der hatte mir gerade noch gefehlt! Dabei hatte ich ganz in aller Seelenruhe die Karten offen auf den Tisch legen wollen, so wie ich es bei meinem Therapeuten auch getan hatte. Der Herr Gutachter erschien erst später. Unter Gollums misstrauischen Blicken setzten wir uns in die Küche. Ich würde nicht offen sprechen können. Was für eine blöde Situation. Wie ärgerlich!

 

Der Psychologe war von recht kleiner körperlicher Statur. Er hatte ein Pokerface, welches permantent zu grinsen schien. Ich konnte ihn nicht einschätzen.1 Er beantragte zunächst2 in die "Akten" Einsicht nehmen zu dürfen, die ich ihm3 freimütig und ohne Vorbehalt gewährte. Ich wollte damit meine unbedingte Bereitschaft zur Kooperation unter Beweis stellen, so wie ich es brav zu tun gelernt. Diese ominöse "Akteneinsicht"4 war stellte scheinbar nur eine Formalitätsangelegenheit dar.

 

Aufgrund der Anwesenheit meines Peinigers konnte ich nicht von dem Martyrium der jüngsten Vergangenheit berichten, nicht weitschweifig über diverse Zusammenhänge logorrhoeisieren. Erst als der Gutachter mich direkt darauf ansprach, dass es angeblich häufiger zu "gewalttätigen Auseinandersetzungen" innerhalb der Beziehung gekommen sei, kam ein erschrockenes, vorsichtiges Nicken meinerseits. Ich legte meinen Zeigefinger über die Lippen und deutete grimassierend auf die verschlossenen Türe, hinter der sich, seinerseits angestrengt lauschend, Gollum im Wohnzimmer befand. Eigentlich war es keine "gewalttätige Auseinandersetzung" wenn einer auf den anderen einprügelt, der sich nicht wehrt. Oder Methoden der Folter anwendet. Aber darüber durfte ich jetzt nicht sprechen, sondern würde es nachher wieder zu einer dieser "gewalttätigen Auseinandersetzungen" kommen.

 

Ein so offensichtlicher Wink mit dem Zaunpfahl. Er verstand ihn nicht. Ich sprach extra laut:

<< Aaach, das war nur so Kabbeleien, ganz und gar undramatisch. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten! Wie sie in jeder normalen Beziehung vorkommen! >> damit es auch beim Lauscher ankommen würde.

<< Verstehen Sie? >> sagte ich - mit Gesten und Grimassen signalisierend, dass man besser doch das Thema wechseln sollte. Denn es gab auch die Situation, die anschließend entstehen würde, wenn der gute Herr Gutachter mich mit demjenigen, der sich da an die Tür fixierte, wieder allein ließe. Wie das dann wiederum aussehen würde, das war mir ja bereits zur Genüge bekannt.

 

Vor lauter Angst vor dem Nachspiel, den das Ganze für mich zwangsläufig wieder haben würde, fing ich aufzuspulen, was Gollum mir die ganze Zeit über immer vor gebetet hatte:

<< Tatsächlich gab es ganz am Anfang unserer Beziehung einige Startschwierigkeiten. >>

Mein Arm miemte ein Flugzeug beim Start, erhob sich in die Luft. Hering guckte wie vor den Kopf gestoßen, vergaß sogar sein Grinsen. Nicht dass er jetzt irgendetwas Falsches sagte!

<< Dort standen wir aber auch unter einer hohen Belastung. Mein Lebensgefährte...>>

ich deutete theatralisch in Richtung Tür,

<< ... hat übrigens eine Therapie gemacht, so dass mit solchen Schwierigkeiten wohl jetzt nicht mehr zu rechnen sein wird. Wir wollen jetzt einen neuen Versuch wagen. >>

<< Aha >> kam etwas zweifelnd ein Kommentar.

Der schien mir das doch glatt auch noch abnehmen zu wollen! Um noch deutlicher als alles andere unterstreichen, dass ich ganz offensichtlich log, heftete ich dem Ganzen noch etwas übertriebene Romantik an:

<< Wir wollen heiraten. Ja! Und ich will noch... 10 Kinder, mindestens! >>

Weil mir die Situation so absurd erschien und ich mein bescheuertes Gerede lustig fand, fing ich in dem Augenblick auch mal wieder an zu lachen. Der liebe Herr Gutachter verstand gar nichts mehr. Statt in seiner Anwesenheit gebührend vor ihm zu Kreuze zu kriechen, wagte ich es zu allem Überfluss auch noch, respektlos vor mich hin zu kichern? Wahrscheinlich hatte ich ihn aus dem Konzept gebracht.

 

Meinem Plan nach hätte er den übertriebenen Wink mit dem Zaunpfahl verstehen und um das Schmiereintheater perfekt zu machen, mir eventuell noch theatralisch irgendwelche Glückwünsche ausrichten sollen, um mir damit Schutz vor späteren Übergriffen zu gewähren. Statt dessen regte er sich offenbar darüber auf, dass man ihn, der sich in seiner Funktion gerichtlich bestellter Gutachter so wichtig vor kam, plötzlich zum Narren zu halten versuchte.

 

Warum verstand er es nicht? Die Situation war doch so offensichtlich! Das war keine gute Perspektive, die mir jetzt blühte. Würde er jetzt auf dem Thema herumreiten, während Jack seine Lauscher an die Türe presste?

Vorsichtshalber startete ich noch ein

<< Doch, doch! - das müssen sie mir glauben >> - Manöver, währenddessen ich mir, dabei mit meinen Augen rollend, heftig mit meinem Zeigefinger an den Kopf tippte.

 

Man sollte doch davon ausgehen, dass jemand, der, wie er, im eigenen Wagen anreiste, fähig sein sollte, über einen halben Meter Entfernung noch halbwegs deutlich etwas erkennen zu können? Er war aber anscheinend so extrem kurzsichtig5, auch das dann zu übersehen. Ihm erschien naheliegender, meine erfundenen Behauptungen für bare Münze zu nehmen.6 Dass das so ablief, bekam ich allerdings erst sehr viel später heraus.7 Zu dem Zeitpunkt ging ich davon aus, das jeder Mensch über ein wenig Verstand in der Birne verfügte.

 

Pokerface war plötzlich sehr daran interessiert, mit demjenigen zu sprechen, der sich lauschenderseits dort im Wohnzimmer befand. Für den ihm von mir aufgebundenen Bären eine zweite Meinung einholen. Gollum zappelte bereits in den Startlöchern, zeigte sich ganz nervös. Sicher sah er bereits seine allerschlimmsten Enthüllungs-Phantasien Gestalt annehmen.

 

Nun tat er vermutlich sein Bestes, um mich seinerseits wie gewohnt in ein ganz, ganz, ganz besonders dunkles Licht zu tauchen. Eines hatte er ja bereits konkret herausgefunden:8 da ich offiziell als psychisch krank galt, durfte er sich völlig straffrei an mir vergreifen. Denn sogar dann, wenn ich darüber zu plaudern beginnen sollte, würde man mir weder zuhören, noch Glauben schenken. Ich war ja krank. Was hieß, dass andere davon ausgingen, ich könne Einbildung von Realität nicht mehr unterscheiden. Wie praktisch!

 

Nun sollte ich9 noch eine neue Diagnose beschert kriegen. Jetzt war ich nicht mehr bloß "hebephren", oder "schizophren", ich wurde obendrein auch noch ein "borderline". Schick, schick, wieder ein neuer Orden! Ich lausche wirklich grundsätzlich nicht an Türen, darum weiß ich nicht, worüber die beiden sich da ausgetauscht haben. Aber ich bin mir sicher, dass Dr. Jekyll/Gollum keine Scheu davor verspürt hat, mich wie gewohnt hemmungslos zu denunzieren.

 

Als dieser so studierte Mensch uns dann alleine ließ, gab es natürlich direkt wieder Zoff. Zum Glück hatte ich aufgepasst und nichts getan, woraus er mir einen direkten Vorwurf basteln konnte, ohne dafür seine (nicht vorhanden) grauen Zellen sehr anstrengen zu müssen. Intuitiv misstrauisch, knallte er mir in seiner Erregung direkt aggressiv:

<< Was hast du dem Typen erzählt! >> ganz spontan das Erste um die Ohren, was ihm einfiel.

Das war zu erwarten gewesen. Jetzt nur nicht aus der Ruhe bringen lassen von Meister Hohlbirne. Der sollte seine drei grauen Zellen nehmen und sich nach Haus verpissen. Dafür musste ich nur eines tun: keine Opferrolle einnehmen und ihn in die Verantwortung drücken. Damit überfordert, suchte er meist direkt das Weite.

<< Ich? Wiesooo,... gar nichts! Aber: was hast Du ihm denn erzählt? >> konterte ich direkt mit einer Gegenfrage.

<< Ach, komm, leck mich doch am Arsch. >>

Er raste förmlich die Treppe herunter. Das war ja gerade noch mal gut gegangen.

 

Dem ständigen Genörgel der Familienhilfe:

<< Sie haben Probleme, lassen Sie sich helfen, lassen Sie sich helfen, so lassen Sie sich doch helfen. >>10 weigerte ich mich fortan, weiter Gehör zu schenken.

Die wollten mir ganz ganz unbedingt und dringendst verkaufen, dass irgendetwas mit mir und meinem Leben nicht stimmte. Solange Er nicht in der Nähe war, war aber alles in bester Ordnung! Das es keine Probleme gab, wurde in ihren Berichten zu einer Fußnote degradiert. Es wurde zwar erwähnt, dass bei ihren Besuchen immer alles gut war, aber dies ging in einem Wust aus Behauptungen von "was wäre, wenn" unter. Ich hatte mich also nicht für eine Kindeswohlgefährdung zu rechtfertigen, sondern für die Wahnvorstellungen der Leute gerade zu stehen, die mir auf Gedeih und Verderb eine solche andichteten.11

 

Wie auch Gollum spielten sich die Sozialheinis auf, als seien sie selbst irgendwelche Ärzte und dürften mir deswegen ständig willkürlich Wahnvorstellungen oder wahlweise Suizidgedanken unterstellen - wenn ihnen gerade danach war. Es reichte also, sich kooperativ zu zeigen, sie in meine Wohnung rein zu lassen, und zu einer Zusammenarbeit bereit zu sein, um mir sonst was unterstellen zu können. Einen konkreten Nachweis dafür benötigte es nicht. Hierfür reichte vollkommen, mit den Ärzten ins selbe Horn zu blasen. Mir tatsächlich bei irgendetwas zu helfen, schien in Niemandes Interesse,12 war unter der Würde.

 

Also musste ich mir wohl selbst helfen, auch wenn ich nicht wusste, wie. Ich wollte keine Besuche mehr, nicht von Gollum, nicht von der Jugendamtstante, nicht von meiner Umsonst-Freundin, von Niemandem! Ich brauchte eine Pause!! Ich überlegte: machte ich bloß, wenn jemand davor stand, die Tür nicht mehr auf, würden sich die Sorgenmacher daraus einen Grund basteln, sich Sorgen zu machen. Jack wiederum würde provoziert werden, sich in ausgedachte Geschichten seiner Wahl hinein zu steigern. Wie konnte ich dem vorbeugen, dass ich dann, wenn ich mir eine Pause gewährte, keiner deswegen gleich ausrastete? Wann konnte jemand an der Tür klingeln, ohne darüber erbost zu sein, wenn ihm keiner öffnete? Wenn derjenige in dem Glauben war, ich sei nicht zu Hause.

 

Kurzerhand beschloss ich, vorzugeben, verreist zu sein. Das naheliegende und glaubhafte Ziel der angebliches Reise: Köln. Statt dessen hatte ich mich nur kurzerhand mit ausreichend Vorräten eingedeckt, die Klingel an der Haustüre abgestellt und des Abends das Licht ausgelassen, damit keiner merkte, dass ich zu Hause war. Auch ans Telefon ging ich nicht mehr. So hatte mir einen Raum für Erholung geschaffen, was sehr, sehr gut tat. Nach dieser einen Woche Urlaub, die ich hatte, war ich endlich wieder zu mir gekommen und hatte genug innere Ruhe und Kraft getankt, um in meinem Leben wieder für mehr Ordnung sorgen zu wollen.

 

Was war das Wichtigste? Zunächst musste dieser Gutachter darüber aufgeklärt werden, dass er einem Holzpferd aufgesessen war. Darauf würde er nicht weit kommen, und das musste ihm jemand mitteilen. Das sollte möglichst bald passieren. Dieser blödsinnige Zinnober rund um meine Person musste doch mal ein Ende haben. Er ließ sich davon überzeugen, kurzfristig und recht bald darauf zu einem neuen Termin zu erscheinen, zeigte sich aber bei diesem Telefonat bereits als demonstrativ genervt. Er bat außerdem um die Anwesenheit meines Vater bei dem Gespräch. Wozu das dienen sollte, war mir zwar nicht klar, aber ich hatte nichts dagegen einzuwenden.

 

Na, ... und? Wer fehlt dann noch zu dem trauten Beisammensein ?

Na, sicher... war klar, dass der auch noch kommen musste. Mein Instinkt ließ mich mal wieder im Stich, als es an der Tür klingelte, war davor nicht der zu mir eilende Psychologen-Erretter, sondern ein - völlig aufgelöster13 Jack, der im Hausflur stand und mich mit groooßen Augen ansah:

<< Wie, du bist wieder zurück? Warum hast du denn nichts gesagt? >>

Immer noch glaubte er einen Anspruch darauf zu haben, zu erfahren, was ich tat oder unterließ. Nach wie vor sah er uns in einer Beziehung, welche ihn dazu berechtigte, Rechenschaft einzufordern. Im Geiste biss ich mich dafür tausende Male in den Arsch. Das konnte doch nicht wahr sein! Warum hatte ich denn nicht, bevor ich die Türe öffnete, aus dem Fenster gesehen?!

 

Der eigentlich erwartete Besuch kam erst ein paar Minuten später. Wir setzten uns in die Küche. Diesmal war Pokerface mit irgendwelchen komischen Fragebögen bewehrt.14 Er händigte Sie mir aus.

<< Ob Sie diese Fragebögen bitte ausfüllen würden? >>

Ich nahm die Zettel in die Hand, las mir die Fragen durch. Setzte im Geiste dabei bereits die Kreuzchen. Hmm, nee. Das war ja blöd. Die Fragen waren so konzipiert, dass man die vielen Grautöne, welche das Leben so anzubieten hat, nicht mit ankreuzen konnte. Teils musste mit Momentaufnahmen gerechnet werden, teils generalisiert geantwortet. War ich generell unkonzentriert? Nein. War ich unkonzentriert, wenn ich müde oder überfordert war? Ja. Es gab im Leben nicht nur Ja und Nein, Richtig oder falsch, schwarz oder weiß. Es gab auch ein vielleicht, manchmal, selten oder gelegentlich.

<< Das kann ich nicht. >>

<< Was? >>

<< Ich kann diese Fragen nicht beantworten. >>

<< Ach. Das ist aber doch ganz einfach! Sie nehmen einen Stift, wie zum Beispiel diesen hier... >>

der Kugelschreiber klickte,

<< und machen ein Kreuzchen an der richtigen Stelle. Schauen Sie? Ich zeige es Ihnen. >>

<< Das ist ja alles sehr nett, Kreuzchen auf ein Blatt Papier zu machen, werde ich ja wohl auch noch hinkriegen. Ich bin ja schon aus dem Kindergartenalter raus. Da kann man das dann, so etwas. >> grinste ich, von seiner Begriffstutzigkeit amüsiert.

<< Aber was... >>

Er sah mich ratlos an.

<< Die Fragen selbst sind das Problem. Die sind so konzipiert, dass ich sie, zumindest teilweise, gar nicht beantworten kann! Sehen Sie? >>

Ich hielt im den Zettel hin.

<< Da! Man kann nur mit ja oder nein antworten. Ein „vielleicht“ gibt ist nicht. Und wenn ich das richtig sehe, wäre selbst ein „vielleicht“ bei manchen der Fragen als Antwort nicht einmal ausreichend. >>

Das überforderte mich. Ich konnte doch nicht, bloß weil ich zwingend unbedingt meine Kreuzchen zu machen hatte, einfach unpräzise werden oder sogar lügen? Das kollidierte heftig mit meinen Prinzipien.

<< Sie müssen das aber ausfüllen. Sonst habe ich nichts, was ich hinterher auswerten könnte! >>

Noch schlimmer: Wenn es hinterher ausgewertet werden würde, durfte ich erst Recht keine vagen oder falschen Antworten geben! Dieser Fakt bestärkte mich in meiner Haltung.

<< Nein. Das kann ich nicht >> gab ich entschieden zurück.

<< Das ist doch nicht so schwer!! Einfach nur Kreuzchen machen. >>

sagte er. Wieder tat er so, als wolle er mir vorführen, wie das ging. So eine Pappnase! Ich hatte es ihm doch erklärt, wo mein Problem lag!Am Stift-festhalten-Können mangelte es nicht.

<< Sie müssen das aber ausfüllen! Anders geht es nicht! >> echauffierte er sich energisch.

<< Wo ist ihr Problem? Ist doch gar einfach! >>

Das es das nicht war, hatte ich ihm ja schon erklärt. Anscheinend war er taub oder, was wahrscheinlicher war, sehr dumm. Sein Verhalten machte deutlich: Er würde die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Aus der Falle kam ich nicht heraus. Wenn ich von einer Sache überzeugt war, konnte ich allerdings ebenso stur sein wie er: keinen Centimeter wich ich von meinem Standpunkt ab.

Da kam mir eine Idee.

<< Hören Sie. Sie haben mir ja schon ein paar Mal vorgeführt, wie toll Sie das können. Warum füllen Sie ihre Zettel nicht einfach selbst aus? Sonst kommen wir überhaupt nicht mehr weiter. >>

Er guckte wie ein Hund, der nicht wusste, in welche Richtung Herrchen das Stöckchen hatte fliegen lassen. War nun ich an der Reihe, ihm zu zeigen, wie man Kreuzchen auf Zettel malte?

<< Wie meinen Sie das? … Ich? >>

<< Ja! >>

<< Aber wie soll das funktionieren? … Ich meine... >>

Ratlos sah er seine Fragebögen an.

<< Ok. Sie stellen mir die Fragen, lesen Sie sie meinetwegen einfach ab. Falls ich sie nicht verstehe, erklären Sie sie mir. Ich antworte Ihnen, ausführlich, auf meine Art. Das bedeutet: nicht mit ja oder nein, schwarz oder weiß, wie dort verlangt wird. Und Sie machen die Kreuzchen. Klar? Okay? >>

Pokerface kehrte auf einen Schlag wieder in sein Gesicht zurück, setzte das übliche siegesgewisse Grinsen auf.

<< Klar. Super. So machen wir´s! >>

Enthusiastisch schwang den Stift.

 

Der "Test" war in einer absolut ungeschlagenen Rekordzeit vorbei.15 Nach etwas Unhöflichkeitsgefloskel und Zettel-wieder-in-die-Tasche-stopfen erfuhr das "Gespräch" ein jähes Ende... Mit dem dämlichen Zettel-Getue hatten sich für ihn alle notwendigen Formalitäten erledigt. Nun schien er ganz versessen darauf, mit meinem werten Herrn Vater zu konversationieren. Endlich eine fachkompetente Person, in der er glaubte, einen geeigneteren Gesprächspartner gefunden zu haben. Er brannte förmlich darauf. Ich würde, um ihn über die Dinge aufzuklären, die er unbedingt von mir wissen musste, zwar mindestens zehn benötigen, bat ihn jedoch nur um:

<< Noch fünf Minuten, … Bitte ... >>

Nebenan saßen Gollum und mein Vater, so dass nicht gelauscht werden würde. Diesmal. Die letzte Möglichkeit.

<< Sie können vielleicht später noch einmal zu Wort kommen. Jetzt ist erst einmal ihr Vater an der Reihe. Der soll ja nicht ewig warten. >> grinste er.

Dieser unerwartete Angriff auf meine Manieren kam mir zwar nicht gerade angebracht vor, aber, was solls, musste ich eben noch ein paar Augenblicke warten... darauf kam es nun auch nicht mehr an.

<< Na gut. >>

 

Nun wurde mir eine Liebe zur meiner kleinen Tochter zum Verhängnis. Sie spürte sie wohl instinktiv, das etwas nicht in Ordnung war. Auf jeden Fall wollte das Fräulein nicht mehr wieder einschlafen und brüllte, entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit, herum. Anstatt mich also mit ihr ins Wohnzimmer zu den anderen zu setzen, wiegte ich sie auf meinem Arm, bis sie wieder einschlief. Inzwischen hatte mein Vater genug Zeit, sich vor seinem dafür so dankbaren Zuhörer gehörig über mich auszulassen. Ich weiß gar nicht, was er alles zu erzählt hat.16 Einige Zeit später wurde ich feierlich ins Zimmer gebeten, als sei das plötzlich eine besondere Ehre.

 

Porky wühlte zunächst in seiner Aktentasche. Dann eröffnete er feierlich...

<< Um eine Gefährdung des Kindeswohls auszuschließen, muss eine Sicherheitsverwahrung angeordnet werden. >>

Meine Kinnlade klappte herunter. Ich hörte wohl nicht richtig! Er redete direkt weiter.

<< Es gibt hier zwei Möglichkeiten: eine in Münster, genauer gesagt, in Wesel, und eine in Köln. Diese beiden Einrichtungen bieten eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung für psychisch kranke Mütter mit Kindern. >>

Kann sich vielleicht einer mein Gesicht vorstellen? Nein? Ich mir auch nicht...

<< Falls Sie auf den Gedanken kommen, sich zu widersetzen - was ja in ihrem Fall auch nicht anders zu erwarten ist... >>

bedeutungsschwangere Pause - 17

<< … wird das Kind aus ihrer Obhut entfernt und Sie in die Psychiatrie zwangseingewiesen. >>

<< Was?? >>

Zu mehr reichte es bei mir momentan nicht.

<< Sie haben die Wahl. >>

Ich lachte los, verstummte aber direkt wieder.

<< Das ist nicht ihr Ernst. >>

<< Doch. Das können Sie mir glauben. Das ist es. >>

<< Sagt mal... Wollt ihr mir VERARSCHEN? >>

<< Nein. >>

<< Aber... WARUM? Ich meine, dafür gibt es doch keinen Grund! Ich habe doch nichts getan, was eine solche Behauptung oder gar Entscheidung rechtfertigen würde! >>

<< Das wissen Sie doch - ganz genau. >>

<< Nein?? Woher soll ich das wissen? >>

<< Na ... >> wieder das Grinsen,

<< denken Sie doch mal nach. >>

<< Darüber brauche ich nicht nachzudenken! >>

<< Doch. >>

<< Aber ich weiss es nicht! Sagen Sie es mir! >>

<< Weil Sie krank sind. Und das wissen Sie auch. >>

Ich war baff. Nun fiel mir nichts mehr ein. Das war unfair.

<< Ich beabsichtige, das Gutachten innerhalb von 14 Tagen fertig zu stellen. Sie sollten sich bald für eine dieser beidem Möglichkeiten entscheiden. >>

Was ging denn hier ab! Während ich versuchte, wieder in die Realität zurück zu finden, betrachtete ich meinen Vater. Er hatte ein sehr ernstes Gesicht aufgesetzt, sah an mir vorbei, als gäbe es mich nicht. Er wirkte wie innerlich versteinert. Der Herr Gutachter sah mich gehässig und triumphierend an. Das Lächeln auf seinen Lippen erstarb abrupt, als sein Blick dem meinem begegnete.

 

Was mich in dieser Situation am meisten aus der Bahn warf, war nicht, dass ich dem in diesem Schauspiel scheinbar größten Idioten von allen begegnet war. Nein. Es war die Frage: Sollte das alles etwa auf dem Mist meines Vaters gewachsen sein? War er wirklich dazu fähig, mich so weit in die Scheiße zu reiten. Sorgte er gerade ernsthaft dafür, mir mein Kind wegzunehmen? Als ich ihn in dieser Situation wie gebannt ansah, trat plötzlich ein etwas mitleidiger Schimmer in seine Augen. Ich konnte es nicht glauben. Das konnte einfach nicht wahr sein. Nun war er auch noch in die Rolle des Henkers geschlüpft.

<< Na, was ist!?! Was denn, sag Du doch auch mal was dazu! >> forderte ich ihn dazu auf, sich für das, was hier passierte, zu rechtfertigen.

<< Du bist jetzt besser mal still und hörst dir an, was dieser Herr dir zu sagen hat. >>

Er hatte sich tatsächlich mit ihm zusammen getan. Das war eindeutig zuviel. Ich klappte zusammen.

 

Sie fingen an, sich zu unterhalten. Sprachen von einer Zukunft, die sie sich in schillernden Farben bunt ausmalten. Ich war nicht mehr in der Lage, zuzuhören. Mein Erinnerungsvermögen bringt nur noch Fragmente zustande. Wie behütet und umsorgt (kontrolliert) ich in einer solchen Anstalt sei. Sie schienen sich ganz prima zu verstehen, so von Psychologe zu Psychologe, da gab man sich kollegial. Ich bekam nicht mehr viel davon mit, war in mich zusammen gesackt und starrte ein sehr dunkles, sehr schwarzes Loch in die Luft.

 

 

 

1 (sympathisch ging jedoch anders)

2 (warum denn bei mir??!? ich habe doch garkeineAktennicht?)

3 (hier wiederum anzumerken, dass ich diese damals selber gar nicht kannte!)

4 (von was für Akten redete der überhaupt? Ich hatte keinen blassen Schimmer)

5 (eher blind)

6 (was vermutlich eine hohe Übereinstimmung mit der Vorstellung aufwies, dass ich nicht mehr richtig tickte)

7 (Hey, wie interessant! Hielt ich mich an eine wahrheitsgemäße Darstellung der Geschehnisse, wollte man mir nie Glauben schenken. Sobald ich aber ganz offensichtlich flunkerte - wurde mir all das, was ich erzählte, abgekauft?)

8 (was ihn auch wirklich motivierte, die Vorstellung von der angeblich psychisch erkrankten Freundin weiter zu festigen)

9 (war denn schon wieder Weihnachten?)

10 (wie eine stehengebliebene Schallpallte!)

11 (dass es keine Probleme zu geben schien, stellte aus ihrer Sicht noch das größte von allen da, denn so konnte man nur Schlachtrufe ausstoßen, aber nie wirklich losschlagen, denn ohne eine tatsächlich vorliegende Kindeswohlgefährdung gab es keine dies rechtfertigende Gesetzesgrundlage)

12 (außer vielleicht in meinem eigenen)

13 ("wo-warst-du-die-ganze-Zeit"-stammelnder)

14 (ganz ähnlich wie die, die ich von meinem Therapeuten, Herrn Dr Sorglos "Niemand-kann-Ihnen-ihr-Kind-wegnehmen" erhalten und ausgefüllt hatte)

15(er las die Fragen zwar ab, machte aber die Kruezchen schon bevor er sich meine Antwort dazu angehört hatte - Hellseher)

16 (vielleicht ist es besser für mich, es wirklich nie zu erfahren)

17 (ansatzweise zuckte wieder das Grinsen übers Gesicht, es führte scheinbar ein Eigenleben)



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