Etwas geschah. Etwas, dass ich nicht unter Kontrolle hatte. Ich wurde verfolgt, verleumdet und bedroht. Dies nicht sonderlich ernst nehmend ging ich davon aus, dass alles sich irgendwann in einer verpätet eintreffenden Erleuchtung aller Beteiligter auflösen würde.1 Vielleicht hätte ich vermehrt Wert darauf legen sollen, die Verschwörung zu erkennen (wenn es sie schon gab). Obwohl alle Fakten deutlich dafür sprachen, tat ich genau das nicht. Ich neige einfach nicht zu Paranoia. Also wies ich immer wieder lediglich darauf nur hin, Opfer widriger Umstände geworden zu sein. Ich glaubte nicht an so etwas wie das "Böse", irgendeine Form der angeborenen Niedertracht im Menschen.
Leider ist es bei mir so, dass ich Dinge immer nur ein einziges Mal auf eine bestimmte Art zu lösen versuche. Ist ein solcher Versuch nicht von Erfolg gekrönt, wiederhole ich das Verhalten nicht. Was bedeutete: ich hatte Dr. Glitzer tatsächlich nur ein einziges Mal um Hilfe gebeten, äußerte meine Bitte aber kein zweites Mal. Er wollte doch gar nicht helfen, wozu sollte ich darauf Zeit und Energie verschwenden, darauf hinzuweisen, dass ich Unterstüztung benötigte? Das wusste er doch! Ein einziges Mal versuchte ich, die Jugendamtstussi ins Boot zu holen. Nur ein einziges Mal machte ich vor Gericht eine Aussage, danach habe ich es nie wieder versucht. Meine Denkweise: Etwas das nicht funktioniert hat, brauche ich kein zweites Mal zu probieren.
Was hatte der Osnabrücker Psychotherapeut mir geraten? Ich solle ein Zeichen setzen? Seinem Rat folgend hatte ich vor Gericht eine Aussage über die widrigen Umstände gemacht, welche zu der derzeitigen Situation geführt hatten. Worüber aber bedauernswerterweise keiner hatte etwas hören wollen. Was tat man in so einem Fall?? Normalerweise sollte hier die Polizei ja ein Ansprechpartner sein. Dort hatte ich es auch schon versucht. Okay,... das war ja nur die hiesige Dorfpolizei und das Gespräch nur ein telefonisches gewesen. Anzeige wegen Körperverletzung hatte ich noch nicht erstattet. Wenn wiederholt etwas Schlimmes passieren würde, sollte ich mich wieder melden, hatte der Polizist gesagt. Wie kam der angesichts der Gewalt, die mir widerfahren war, eigentlich auf die Idee, dass ich dazu dann noch in der Lage wäre?
Die Frage blieb:
War dies nicht doch etwas, das ich tun hätte sollen? Ganz normal, schlicht und ergreifend Anzeige erstatten? Körperverletzung? Mordversuch? Was hatte der Polizist mir erklärt? Man könne erst dann tätig werden, wenn es einen Toten gegeben hatte? Man würde immer nur zum Aufräumen ausrücken? Das konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Aber wenn schon ein Richter, welcher Kraft seines Amtes Hüter von Recht und Ordnung war, sich nicht dafür interessierte - ergab, erneut zur Polizei zu gehen - dann überhaupt noch einen Sinn? Selbst der Polizist, der in unserem Haus das Erdgeschoss bewohnte, schien sich rein gar nicht für die seltsamen nächtlichen Vorkommnisse in dem Mehrfamilienhaus zu interessieren. Nachdem ich des Nachts sehr laut um Hilfe gerufen hatte - so laut, dass ich mir sicher sein konnte, damit ganz bestimmt das ganze Haus aufgeweckt zu haben, hatte ich mich im Nachhinein doch sehr darüber gewundert, dass sich kein Einziger meiner Nachbarn gemeldet hatte. Unseren werten Herrn Polizisten hatte ich ein paar Tage später draußen auf der Straße angetroffen, wo er fleißig seinen Kinderwagen umher schob.
<< Haben Sie eigentlich meine Hilferufe gar nicht gehört? >> fragte ich ihn bei der Gelegenheit.
<< Mit so etwas wollen wir nichts zu tun haben. >>
Bei dieser Antwort blieb mir die Spucke weg. Aha? Also hatte man durchaus etwas gehört, sich davon allerdings nur peinlich berührt gefühlt? Das war interessant. Ob er schon einmal etwas von unterlassener Hilfeleistung gehört hatte? Vielleicht hat man als Polizist da ja schon eine gewisse Übung darin, dachte ich und ließ ihn kopfschüttelnd mit seinen Kinderwagen entkommen.
Völlig egal. was ich tat, es war krank. Erregt und aufgewühlt zu sein, hieß nun nicht mehr Verzweiflung oder einfach Wut, sondern: dann "dekompensierte" ich - und schon stellte, etwas zu empfinden, das der Situation angemessen war, ein Symptom dar. Trat ich selbstbewusst und fordernd auf, hieß es, man verhielte sich "ambivalent". Hatte ich die Schnauze voll, wusste nicht mehr weiter und ging auf Stand by, dann war ich nicht etwa resigniert oder einfach nur erschöpft, sondern plötzlich "autistisch abwesend"... "Desolat" pflegte der Jack mich dann immer zu titeln. Diese Vokabel hatte es ihm angetan. Schaltete ich auf die für mich typische Art und Weise ab, sprach nicht und reagierte auch nicht mehr, beschimpfte er mich mit komplizierten Fremdwörtern. Jede menschliche Regung wurde mit einem ärztlichen Begriff ausgestattet. Ob ich gegen den bösen Stempel der Geistesgestörtheit aufbegehrte oder nach Freiheit strebte2 - es war auf jeden Fall pathologisch. Man sah mich nicht länger als einen Menschen. Ich war ein eine wandelnde Zur-Schau-Stellung von Psyche. Oh, schau, sie weint - sie ist labil.
Die Welt spaltete sich in zwei Lager: die einen, die mich nach wie vor als einen Freund sahen und einen der ihren akzeptierten, und die, die geradezu feindselig darin insistierten, das Recht dazu zu haben, sich über mich zu erheben, und sich aus diesem Grunde auch nicht davor scheuten - mich von ihrem selbstgerechten Thron, auf welchen die psychiatrische Intervention in meinem Leben sie vermeintlich empor gehoben hatte, aus mit allerlei Unrat zu bewerfen.
Das alles war so verrückt! ... ein Zeichen setzen. Hmm, ...das half auch nicht. Was hatte Porky für ein erbärmliches Gesaller von sich gegeben, nachdem er und mein Vater und er sich stundenlang gegenseitig im jeweiligen Schleim des anderen tüchtig gesuhlt? Ich sollte mit meinem Kind in ein Wohnheim für psychisch Gestörte? Den Wohnort zu wechseln, hatte ich mir die Tage zuvor auch schon ernsthaft durch den Kopf gehen lassen, da mir angesichts der Gollum/Mr Hyde Situation partout keine andere Lösung mehr einfiel. Im Grunde genommen das gar keine so schlechte Idee. Ob ich allerdings mit meinem Kind in einer derartigen WG leben wollte - darüber war ich mir nicht ganz so im Klaren. Wahrscheinlich eher nicht. Alleine kam ich besser zurecht als in einer Gemeinschaft. So, wie es aussah, blieb mir aber vielleicht gar keine andere Wahl. Gut! Wer die Wahl hat, hat die Qual. Die hatte ich nicht - so sei es - dachte ich erleichtert, dann brauchte ich mir auch keine Gedanken über ein für und wieder zu machen.
Am Ende würde alles gut werden. Ich würde auf mein Kindlein immer gut Acht geben. Wenn man dabei auch auf mich gut Acht geben wollte, war das ja an für sich nichts Schlechtes - versuchte ich zu guter Letzt, mir die Sache ein wenig schön zu reden. Allerdings störte es mich außerordentlich, dass diese Sache, mal wieder, einfach so über meinen Kopf hinweg entschieden worden war, zudem auf einer Grundlage, die nachweislich falsch, wie sie falscher nicht hätte sein können. Es gab allerdings Wichtigeres, als meine Zeit mit Grübeln über Dinge zu verschwenden, die ich dadurch eh nicht würde ändern können. Ich wollte mir nicht noch mehr den Kopf zu zerbrechen und in eine Wut hinein steigern, die ich garantiert entwickeln, falls ich über die vielen Ungerechtigkeiten weiter nachsinnen würde.
Während meiner Schwangerschaft hatte Jack überall und jedem3 davon berichtet, dass ich eine gemeingefährliche Nutte sei und das Kind von irgendeinem der vielen LKW Fahrer4 stammte.5 Eine ziemlich üble Beleidigung. Tatsächlich habe ich mich, in einem Anfall von Sehnsucht, hinterher noch einmal mit Jean Paul getroffen. Wir gingen gemeinsam Mittag Essen. Er freute sich zwar sehr, mich wiederzusehen - bald aber wurde unser Treffen von seiner ungeheuren Wut überschattet. Dass ich zu meinem Peiniger nicht nur zurück gekehrt, sondern auch noch ein Kind von diesem erwartete, war ein Schock. Er machte keinen Hehl daraus, für wie dumm er mich hielt. Davon, wie hart er dafür mit mir ins Gericht gegangen war, sehr verstört, ging ich wieder nach Hause.
Die Vaterschaft wurde nicht anerkannt. Wieder gab es eine gerichtliche Anhörung:
<< Was haben Sie dazu zu sagen? >> fragte der Richter.
<< Damit habe ich nichts zu tun >> antwortete Jack.
Und wieder konnte er sich nicht zurückhalten, hinzuzufügen:
<< Das ist eine Verrückte, glauben sie der kein Wort, die gehört hinter Schloss und Riegel! >>
Wie ich wusste, würde sein Fähnchen bald umschlagen und er elendig angekrochen kommen, um mir zu erzählen, wie unendlich Leid ihm sein Verhalten auf einmal täte.
Selbstverständlich war Kackbratze auch mal wieder mit vor Ort. Sie spielte an diesem Tag das Taxi.
<< Das waren klare Worte. >> behauptete sie nun beeindruckt.
<< Ha! >> sagte ich,
<< innerhalb der nächsten zwei Stunden kommt der Idiot wieder angeschissen und erzählt mir, wie Leid es ihm tut. >>
<< Das ist Wunschdenken. >>
<< Nein. Ist es nicht. >>
<< Du redest dir da etwas ein. >>
<< Nein, tue ich nicht. >>
<< Ich glaube, du lebst in einer Scheinwelt. Du siehst die Dinge gar nicht so, wie sie in Realität sind. Das liegt an deiner Erkrankung. Dann passiert so etwas >> resümierte sie pseudointellektuell.
Nützlich wie die Zigarettenstummel, die am Wegesrand herumlagen.
<< Ich sehe das schon ganz richtig. >>
<< Aha >> sagte sie zweifelnd, gab aber immerhin auf, mich mit dieser esoterischen Scheiße vollzulabern. 6
An dem Tag versuchte ich die Richter darüber zu informieren, dass ich mit einem Sorgerechtsgutachter in Kontakt stand. Dieser habe, was meine Erziehungskompetenzen anbeträfe, überhaupt keine Bedenken. Ob man wegen dieser Angelegenheit nicht vielleicht noch eine zweite Meinung einholen wollte? Der Richter winkte ungeduldig ab. Das Prozedere ließ ein nach links und rechts Gucken nicht zu.
<< Bitte verlassen Sie nun den Raum. >>
<< Aber... >> begehrte ich auf.
<< Hören Sie. Wir haben hier heute noch andere Fälle zu bearbeiten. Dafür ist jetzt keine Zeit. Gehen Sie. >>
Der Tonfall war eindeutig. Keine Widerrede.
Auf dem Rückweg durfte ich mir Auszüge aus der Scheinwelt, in der KB lebte, anhören:
<< Du musst endlich aufwachen. >>
<< Ich bin nicht diejenige, die hier aufwachen muss. >>
<< Ach nein? >>
Oh shit, was antwortete ich jetzt? Meine innere Logik schlug ein paar panische Puzelbäume, um ja nicht die falsch Antwort zu geben. Ja, ich bin nicht diejenige, die aufwachen muss? Oder Nein? Richtig, nicht ich musste aufwachen. Beide Antworten wären richtig, stellte ich amüsiert fest. Einfach nur zustimmen, nahm ich allen meinen Mut zusammen. Dabei wollte ich alles andere, als dieser Person für irgendetwas meine Zustimmung zu geben. Der Umgang mit ihr und ihresgleichen war kompliziert und sehr anstrengend. Egal was ich sagte - es würde eh wieder gegen mich ausgelegt. Ich musste sie so bald wie möglich loswerden. Am besten schon gestern.
<< Ja. >>
Schweigen.
Es gab einfach eine bestimmte Sorte Mensch, die so waren wie sie. Vollkommen an der Realität vorbei. Um die genau das für richtig hielten und es aus diesem Grund nicht einmal merkten! Diese Tussies vom Jugendamt waren genauso. Normalerweise mied ich den Kontakt zu solch unterbelichtetem Volk aus Prinzip. Das gab nur Probleme.
<< Es sind die anderen Menschen herum, die endlich mal aufwachen müssten! >> sagte ich leise.
<< Wer denn zum Beispiel? >>
<< Na, Sie! Oder die werten Damen und Herren vom Jugendamt! Das wäre mal eine Idee. >>
Ich kam mir unheimlich überlegen vor, obwohl sie wahrscheinlich nur Bahnhof verstand.
<< So, so. >> erwiderte sie amüsiert.
Wie sollte ich ihr das erklären? Sie raffte doch eh nichts! Aber ich musste es zumindest wenigstens versuchen. Ich überlegte und teilte meine Gedanken mit ihr:
<< Mein Problem ist, dass ich keine Anleitung dafür habe, wie so etwas geht. Also bei anderen, meine ich. Ich weiß, dass ich meiner Umgebung aufmerksam begegne, aber wie man jemand anders aufwecken kann, also, so in seinem Inneren, damit er dann genauso wach wird, dafür fehlt mir das notwendige Wissen. >>
Das war wohl auch ihr zu kompliziert. Den Rest des Weges wurde7 geschwiegen.
Als ich mich ein paar Tage später vom nahe gelegenen Supermarkt auf den Weg nach Hause machen wollte, lauerte er mir dort auf. Drückte mir eine seiner Waffen in den Rücken und teilte mir fröhlich mit:
<< Hey, lange nicht gesehen! >>
<< Was soll das werden? >> fragte ich den Bescheuerten, der soviel Aufmerksamkeit gar nicht verdient hatte, gnädig.
<< Na, wonach sieht es denn deiner Meinung nach aus? >>
Was? Wozu wollte er nun meine Meinung hören? Dass er, in der für ihn üblichen Kleidung unüblicherweise hinter dem Supermarkt mit dem Fahrrad herumlungerte? Bei Sonnenschein, immerhin, aber trotzdem ungewöhnlich. Diesen halben Roman von mir zu geben, war mir zu dumm. Die Waffe ignorierte ich völlig, diese Spielchen kannten wir ja schon. Damit auch in der Öffentlichkeit herumzufuchteln, stellte eines seiner erbärmlichen Hobbies dar.
<< Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich darüber aufklären würdest. >>
<< Ich habe große Lust... >>
Was. Lust. Eis zu essen, spazieren zu gehen, Frau Holle zu spielen - Was? Ich schwieg. Dafür würde er wohl kaum eine Waffe brauchen. Warum musste er immer alles so kompliziert machen.
<< Was denn jetzt. >>
<< Ach, du bist doof, so macht das doch gar keinen Spaß. >>
Danke, ja, dass ich doof war, wusste ich schon. Er ließ ja auch keine Gelegenheit aus, mir unter vor die Nase zu reiben.
<< Blödmann. >>
<< Was hast du gesagt? >>
<< Weisst du was? Unter Spaß verstehe ich etwas anderes. Warum musst du deine Probleme eigentlich immer an anderen auslassen hmm? Hast du schon mal daran gedacht, dass die, die du in deine Spielchen regelmäßig mit rein ziehst, da vielleicht gar keinen Bock drauf haben? Hör mal, was hältst du denn davon, zu einem Arzt zu gehen und deine ganzen vielen Probleme zukünftig mit dem zu diskutieren. Und zwar ausschließlich mit dem. Klar? Dann können so manche hier im Ort vielleicht bald mal in Frieden leben >> startete ich, einen längeren, hochvernünftigen, aber für ihn völlig uninteressanten Gedankengang von mir darzulegen.
<< Nein, so geht das nicht. >>
Wieder sprach er mit mir wie mit einem kleinen Kind.
<< Du musst mich jetzt fragen, worauf ich Lust habe. >>
Ich seufzte.
<< Ok. Und dann lässt du mich in Ruhe? Versprochen? >>
<< Vielleicht... >>
<< Und? >>
<< Was? >>
<< Na, worauf hast du Lust. >>
Nun breitete sich ein Grinsen auf seiner Visage aus.
<< Heute, >> eröffnete er mir nun theatralisch,
<< heute habe ich Lust dazu, dich nach Hause zu begleiten. Was hältst du davon. >>
Hatte man nicht einmal mehr in der Öffentlichkeit seine Ruhe? Was wollte er denn jetzt schon wieder? O Gott, na dann, meinetwegen. Sollte er sich sich ein bisschen aufspielen, wenn er das so dringend brauchte. Davon würde ich mich ganz sicher nicht beeindrucken lassen. Ich würde ganz normal und entspannt nach Hause gehen, uns dort einen gemeinsamen Kaffee machen, um ihn dann gelassen und unter anderem auch herablassend zu fragen, was genau er mit seinem Verhalten bezweckte. Von dem ließ ich mir doch nicht unser Leben kaputt machen... Der sollte zusehen, wo er seine Opfer zukünftig her bekommen sollte, mit welchen er seine Hobbies ausleben konnte, wenn ich nicht mehr da war. Das allerdings würde ich ihm kaum auf die Nase binden.
Täterverhalten lebt davon, ein bereitwilliges Opfer zu finden, das die Opferrolle aktiv einnimmt, sich in dessen Regiedebüt miteinbringt. Wollte er nun wieder an alte Zeiten anknüpfen? Das sollte er besser lassen. Ich hatte nicht vor, mir das länger gefallen zu lassen. Okay, körperlich war er mir wohl nach wie vor überlegen. Weshalb er obendrein auch noch glaubte, sich so verhalten zu dürfen. Aber das hieß noch lange nicht, dass dies von nun an und für alle Zeit so weitergehen würde. Er mochte vielleicht stärker sein als ich, geistig aber konnte er mir nicht das Wasser reichen. Ich war nicht wehrlos. Ich war nur8 zu pazifistisch.9
Meine Geduld war an genau dem Punkt am Ende, als Mia mit ins Spiel kam. Wenn er mir schadete, so war das meine Entscheidung, mir das gefallen zu lassen. Aber Mia stand unter meinem Schutz. Wenn sie auch nur im Geringsten unter dieser unglückseligen Beziehung litt, war es an mir, dem einen Riegel vorzuschieben. Langsam begriff auch ich: Ginge es mir nicht gut, wikte sich das auch auf sie aus. In Zukunft würde ich auch auf mich selbst besser Acht geben müssen. Natürlich hatte ich gehofft, dass sie eine Beziehung zu ihrem Vater aufbauen konnte, aber bitte schön: eine gesunde. Mein Plan, in erreichbarer Nähe zu ihm zu leben, barg ungeahnte Konsequenzen. Wenn die Kleine ständig miterleben sollte, wie er sich an mir vergriff, hatte das keinen Sinn.
Als wir daheim ankamen, dauerte es nicht lang, bis er wieder in gewohnter Manier loslegte. Dieses Mal trat er mir unter anderem auch mit ordentlichem Schwung ins Gesicht, welches daraufhin auf dick und blau anlief. Ich schimpfte.
<< Du Idiot! Was soll das denn schon wieder! Lass es verdammt noch mal. Das ist so etwas von vollkommen überflüssig! >>
<< Ach entschuldige. Das war nur aus Versehen. >>
Aber sicher. Man tritt jemandem, der entspannt auf der Bettkante sitzt, mal so ganz aus Versehen ins Gesicht.
<< Geh bitte einfach nach Hause. Ja? Tu uns den Gefallen und lass uns in Zukunft in Ruhe. >>
Aber er ging nicht.
Als er später dann auch noch auf die glorreiche Idee kam, sich an seiner eigenen Tochter vergreifen zu wollen,10 rastete ich komplett aus. Ich packte ihn am Kragen und beförderte ihn mit einer Kraft, wie nur eine Mutter, die ihr Kind beschützen will, sie entwickeln kann, mit in einer einzigen, gezielten Bewegung vor die Tür, die sich daraufhin für immer hinter ihm verschloss. Er hatte sich ein absolutes Hausverbot eingehandelt.
Am nächsten Tag packte ich ein wenig Proviant in den Kinderwagen und begab mich auf direktem Weg in ein mir bekanntes Polizei Präsidium, welches sich an der Ecke Natruper Straße / Lotter Straße in Osnabrück befand. Die Fresse nun schon schön dick angeschwollen und violett, wollte ich dort eine Anzeige wegen Körperverletzung aufgeben. Man ließ mich warten. Nervös schaukelte ich den Kinderwagen hin und her, bis mir die Sinnlosigkeit meiner Handlung bewusst wurde: Mia schlief tief und fest. Ich wartete ungeduldig. Wie lange brauchten die denn noch? Als dann ein junger Mann mit dunkelbraunem Haar und einem Schnauzbart auf mich zukam, erzählte ich ihm von meinem Missgeschick, den falschen kennengelernt zu haben. Davon, dass mir seit nun mindestens einem Jahr von ein und derselben Person immer wieder übel zugesetzt wurde. Ich wies auf mein verunstaltetes Gesicht.
<< Ach, das ist doch nichts. >>
<< Wie? >>
Das war doch wohl nicht nichts! Da täuschte er sich aber.
<< Wissen Sie, womit wir es hier tagtäglich zu tun haben? >>
Hallo? Was sollte das denn jetzt? War der dumm? Die sollten mir doch helfen! In gewohnter Manier ballte ich meine Fäuste und stampfte mit dem Fuß auf, wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt.
<< Ich will aber Anzeige erstatten! >> quietschte ich.
Ich wollte mich nicht abweisen lassen.
<< Haben Sie eine Beziehung zu dem Mann? >> fragte er.
<< Ja! ... Nein! Ich hatte mal eine, aber das ist schon lange vorbei. Und selbst wenn es so ist, oder mal so war, >>
stammelte ich,
<< dann gibt das so jemanden doch noch lange nicht das Recht, sich auf diese Art und Weise zu verhalten! >>
<< Doch, genau so ist es. >>, sagte er.
Bäm. Mir stockte der Atem.
<< Was??? >>
Die Knie wurden weich, alles um mich herum fing an, sich zu drehen. Ich brauchte ein paar Sekunden.
<< Eeecht... ? Das kann ich gar nicht glauben... >> brachte ich noch hervor.
<< Ja. Es tut mir Leid, in diesem Fall können wir ihnen nicht helfen. Das ist eine sogenannte Beziehungstat und eine solche ist nach deutschem Gesetz strafrechtlich nicht von Relevanz. >>
Nun fiel ich völlig vom Glauben ab. Das, was man mir antat, war gesetzlich erlaubt??? Von dieser Erkenntnis völlig verstört zockelte ich mit meinem Kinderwagen wieder ab.
Am nächsten Tag kaufte ich mir Schminke, um den riesengroßen, blauen Fleck in meinem Gesicht irgendwie zu verbergen. Die Leute, denen ich auf der Straße begegnete, sollten weder starren noch dumme Fragen stellen. Nun sah mein Gesicht aus, als sei ich zur Hälfte Lepra krank. Aber dumm gucken und Fragen stellen tat keiner. Diese zu beantworten hätte mir auch die Kraft gefehlt. Es ging mir nicht gut.
Ich musste mich jetzt auskurieren und stand nur noch für Mia auf. Sie schrie auf einmal häufiger, was mich beunruhigte. Außerdem schien sie sich, wie erwartet, bei der gerichtlichen Anhörung auf dem Arm von Kackbratze einen Schnupfen geholt zu haben. Da es mir selbst im Augenblick nicht so gut ging, rief ich Tussnelda an, um sie zu bitten, mit der Kleinen zum Kinderarzt zu gehen. Dieses ständige Gebrüll - das war ich von Mia so gar nicht gewöhnt!11Sie versprach, gleich am nächsten Tag den Besuch beim Arzt für mich zu übernehmen. Erleichtert willigte ich ein. Dann konnte ich die Zeit nutzen, um mich etwas zu erholen. Früh am nächsten Tage kam sie und nahm die Kleine mit, welche an einer leicht verrotzten Nase und, wie ich später herausfand unter Verdauungbeschwerden litt, weshalb sie nun häufiger12 Zeter und Mordio brüllte. Es war zwar nicht weiter dramatisch, trotzdem wollte ich deshalb mit dem Kind beim Kinderarzt vorstellig werden. Nicht, dass es hinterher doch etwas Ernsteres war.
Da ich immer noch unter den Folgen der letzten Prügelaktion litt, war ich froh, als Tussnelda erschien, mir diese Arbeit abzunehmen. Wie vereinbart holte sie die winterlich dick eingepackte Mia im Kinderwagen ab, um diesen zu der 200 Meter entfernt gelegenen Kinderarztpraxis zu schieben, damit wir ein Rezept für ein Darm-beruhigendes Medikament bekämen. Anscheinend vertrug Mia die Flaschenmilch nicht so gut, bekam davon Blähungen, welche ihr Schmerzen bereiteten.
Mein Kind sollte an dem Tag nicht wieder zu mir zurück finden. Was auch immer Tussnelda dem Arzt erzählt hat, führte dazu, dass dieser Mia in ein weit entfernt gelegenes Kinderkrankenhaus einweisen sollte. Eines, das sich als von meinem Wohnort mit öffentlichen Verkehrsmitteln unerreichbar erweisen würde. Ich befand mich in einer Zwickmühle: Würde ich mich jetzt gegen die Anweisung des Arztes wenden, verhielte ich mich damit ganz offiziell verantwortungslos und bestätigte damit die mir zugewiesene Rolle der Kinderwohl-Gefährderin. Ich sah mich gezwungen, dem unnötigen Prozedere stillschweigend zuzustimmen.
Als ich den Kinderarzt anrief, um mich bei ihm zu erkundigen, wie er zu dieser Entscheidung gelangt sei, legte dieser einen so nervösen und ängstlichen Tonfall an den Tag, dass ich mir bereits ausmalen konnte, was tatsächlich hinter meinem Rücken abgezogen worden war.
1 (unerschütterliches Vertrauens auf den gesunden Menschenverstand)
2 (welche nach dem Verlassen meines Elternhauses ein solch kostbares Gut in meinem Leben geworden war)
3 (der es hatte hören wollten)
4 (die ich in seiner Version der selbstverständlich auch alle gebumst hatte)
5 (wäre es mal so gewesen! Jeder einzelne von ihnen wäre ein besserer Kandidat gewesen als er)
6 (kaum war ich wieder zu Hause und sie weg, da klingelte es und er entschuldigte sich mit Tränen in den Augen bei mir. Zum Glück konnte ich ihn unter einem Vorwand gleich wieder wegschicken)
7 (Gott sei Dank)
8 (in dem irrigen Glauben daran, das würde helfen)
9 (einer meiner häufigsten Fehler)
10 (wahrscheinlich, weil ich nicht die gewünschte Reaktion zeigte, nicht gebührend unterwürfig und leidend war - da wollte er mich bei meiner schwächsten Stelle packen - diese war war die unendliche Liebe zu meiner Tochter)
11 (von Drei Monats Koliken hatte ich auch noch nie etwas gehört)
12 (ganz wie normale Babys es so tun)