7. Error (1997 Liebe + ihre Folgen)
Ein paar Tage später lernte ich ihn kennen. Wer hätte das gedacht: Es war Mikes Bruder! Fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt. Da ich jedoch in der gleichen Weise reagierte wie beim ersten Mal,1 fiel es mir auf: der Motorradfahrer! Der, den ich in der Autowerkstatt gesehen hatte! Aber - an diesem Ort bloß zu Gast, konnte ich nicht einfach jemandem die Tür weisen. Außerdem kannte diesen Menschen doch gar nicht! Er hatte nichts getan, was diese heftige Reaktion rechtfertigte. Was war nur mit mir los? Da er keinen Schnauzbart mehr trug und diesmal sogar eine Brille auf der Nase hatte, kam ich nicht gleich im ersten Moment dahinter, wer das war. Selbst die Gesichtsfarbe hatte sich verändert: Er war bleich, nicht mehr braun gebrannt (logisch, so direkt nach dem Winter). Ich hatte ihn bislang ja auch nur ein einziges Mal (und das auch nur aus einiger Entfernung) gesehen. Aber: so wie beim ersten Mal verliebte ich mich sofort wieder in ihn.
Heimlich beobachtete er mich. Vor allem dann, wenn ich nicht hinsah. Heimlich beobachtete ich ihn. Vor allem dann, wenn er nicht hinsah. Als er das bemerkte, lugte er, mutig geworden, keck hinter seiner Brille hervor und erkundigte sich:
<< Darfst du kleiner Bubi denn schon rauchen? >>
Der "kleine Bubi" antwortete frech:
<< Na klar, was denkst Du denn? >>.
Der Whisky war leer und der Abend noch viel zu jung, als dass man ihm das ernsthaft hätte durchgehen lassen dürfen. Da geriet man ja glatt in Gefahr, wieder nüchtern zu werden! Mensieur besaß ein Auto. Gemeinsam fuhren wir los, um für Nachschub zu sorgen. Irgendwann brauchte er etwas aus dem Handschuhfach. Herinnen befanden sich zahlreiche Polamidon-Vorräte. Ich sah ein paar noch Folie eingefasste Kartons, sowie einige leere Verapckungen. Polamidon? Das hatte ich doch schon mal gehört...? Wozu brauchte man soviele Medikamente, wenn man nicht schwer krank war? Hatte er Krebs? Oder vielleicht seine Frau/Tante/Onkel? Okay, das ging mich nichts an, war seine Privatangelegenheit. Wir kaufen Whisky. Er sagte mir seinen Namen. Lächelte mich an. Meine weichen Knie meldeten sich mit aller Macht zurück.
Er kam wieder vorbei. Es sollte zwar wie zufällig aussehen, aber ich wusste: er kam meinetwegen. Wir gingen zusammen aus. Er zeigte mir seine vielen Waffen, mit denen er sich genötigt fühlte, überall im Vorbeigehen Löcher hinein zu schießen. In Straßengräben, Verkehrsschilder, Bäume, Mülleimer. Bei einem Hahn spreizen sich die Federn und sie beginnen zu stolpern, wenn eine fesche Henne in die Nähe kommt, Männer brauchen Muskeln, dicke Autos und rauchendes Eisen. Er begegnete mir einfühlsam und fürsorglich, ganz Gentleman-like. Dass ich die meiste Zeit über schwieg, schien ihm egal zu sein, meine Unbeholfenheit und Naivität nicht abzuschrecken. Er übernahm das Kommando, ich richtete mich danach. Neben der Tatsache, dass er single sei, erzählte er mir noch eine ganze Menge anderen Schnickschnack. Seine dicke, schicke Karre parkte vor dem Haus,2 den anderen spielte er den das-verwahrloste-kleine-Mädchen-retten-müssenden-Samariter vor. Eine ausgiebige Hotel-Besuchs-Orgie erfolgte.3 Ich hielt das zwar für vollkommen überflüssig, aber er bestand darauf. Nicht um Sex zu haben, nein! Warum also? Nur um zu protzen. Ob er das wohl nötig hatte?
Wie nicht anders zu erwarten, gehörten die Medikamente im Handschuhfach zu seinem persönlichen Bedarf. Im Fall von Polamidon handelt sich um ein sogenanntes Substitutionsmittel, welches dazu dient, Drogensüchtigen die Abstinenz zu erleichtern. Zusätzlich nahm er Lexothanil ein, ein Beruhigunsmittel. Dazu Remestan, ein starkes Schlafmittel. Diesen Cocktail gab er sich täglich und (als wenn das noch nicht reichte) in einer viel zu hoher Dosierung. Ständig hatte er irgendwelche Pillen bei sich, welche er sich regelmäßig den ganzen Tag über, wie Bonbons! - einwarf. Damit sein Magen das aushielt, gab es Pepdul. Hatte er Schmerzen, verschrieb der Arzt ihm Tramaltropfen. Vielleicht war er ja impotent? Wer soviel Gift in sich hinein stopft, muss mit so etwas rechnen. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn gelegentlich etwas mehr zwischen uns gelaufen wäre. Er durfte mich berühren. Wir küssten uns: es war nicht unangenehm. Ich mochte seinen Geruch.
Natürlich war ich, nachdem ich seine Bekanntschaft gemacht hatte, nicht sofort nach Köln weitergereist. Das hatte Zeit. Mich aktuell verliebt zu haben, erschien mir sehr viel wichtiger. Also blieb ich sehr viel länger als die ursprünglich von mir geplante eine Woche. Der Medizinmann hatte eine geräumige Wohnung und überließ mir sogar großzügig ein ganzes Zimmer, in welchem ich auf einem selbst gebauten Bett schlief. Die Konstruktion (aus einer zu diesem Zweck umfunktionierten alten Zimmertür) war zwar etwas wackelig, aber alles in allem war, ein Bett zu haben, doch ein komfortabler Luxus. Der Medizinmann wusch seine Wäsche, indem er badete und hinterher alles, was dreckig war, hinein warf, um dann wie Winzer bei der Traubenernte darauf herum zu stampfen. Manchmal half ich ihm dabei. Essen gab es nur selten, dafür um so mehr billiges Bier, welches auch über einen nicht unbeachtlichen Nährwert verfügte.
An meiner Unfähigkeit, mich auf etwas zu konzentrieren, hatte sich seit meinem Autounfall, obwohl seitdem sehr viel Zeit verstrichen war, leider nichts geändert. Eigentlich wollte ich ein Fernstudium im Fach Bauzeichnen absolvieren. Auf die Idee gekommen war ich, weil dies die passendste Ergänzung zu dem Beruf darstellte, den ich zuletzt ausgeübt hatte. Könnte ich Zeichnungen lesen, würde ich gleich das Fünffache verdienen. Es gefiel mir auf dem Bau, ich wollte dabei bleiben. Mein Vater finanzierte den Fernlehrgang. Leider fehlte der Computer, um die dazugehörenden Disketten studieren zu können. Dass ich nicht mehr so effektiv lernen konnte wie früher, frustrierte mich. Vor meinem Autounfall hatte ich Dinge in kürzester Zeit abspeichern und berechnen können. Diese Fähigkeit verloren zu haben war ein herber Verlust, den ich schmerzlich bedauerte.
Eines Tages klopften zwei äußerst seltsame, fremde Gestalten an die Tür. Der Medizinmann war nicht zu Hause und ich bei ihm nur zu Gast. Es hätte aber auch der Postbote sein können, so dass ich wenigstens einen Blick vor die Türe geworfen haben wollte, bevor ich wen-auch-immer wieder weg schickte und auf später vertröstete.
<< Der, der eigentlich hier wohnt, ist nicht da. Kann ich irgendetwas für Sie tun? Ansonsten müssen sie später wiederkommen! >>
Derweil ich noch in der Tür stand, gingen sie durch mich durch, mich rücksichtslos zur Seite drängelnd.
<< Das wird nicht nötig sein >>
Ein Briefträger oder Paketdienst verhält sich anders. Definitiv.
<< HEY!!! >> rief ich überrascht.
Eindringlingsalarm! Eindringlingsalarm!
<< Was soll das! >>
<< Nein, das ist schon in Ordnung >> sagten sie.
Was laberten die!? Wie Bitte? Nichts war hier in Ordnung!4
<< Wir wollen zu Ihnen >> hieß es dann (als wenn das irgend etwas relativieren würde!).
<< Wissen Sie, ihre Eltern haben uns beauftragt. >>
Meine Eltern beauftragten andere Menschen damit, mich zu überfallen??
<< Meine ... Eltern? Aber wieso denn ...? >>
Meine Gedanken schlugen Purzelbäume. Das war ein Versehen. Nein. War es nicht. Aber was war es dann? Hätten meine Eltern, wenn sie etwas von mir wollten, denn nicht einfach selbst zu mir kommen können? Jemand anderen zu schicken erschien umständlich. Okay. Meine Mutter wohnte ja etwas weiter weg. Deshalb schob ich ihr das auf die Schnelle in die Schuhe. Aber wir hatten hier doch auch einen Briefkasten? Wieso hatte sie mich denn nicht einfach per Post kontaktiert?
<< Ja. Ihre Eltern machen sich große Sorgen um Sie, wissen Sie? Weil sie so krank sind. Wir sind da, um ihnen zu helfen. >>
Ich war da etwas anderer Meinung und äußerte dies natürlich auch. Diese beiden aufdringlichen Schnepfen sollten sich zum Teufel scheren! Selbst wenn sie, wie sie von sich behaupteten, zu irgendeinem "sozialen Dienst" gehörten! Sie wedelten mit einem Visitenkärtchen herum, als seien sie die Polizei und deshalb dazu berechtigt, in anderer Leute Häuser einzudringen. Eindringlich bat ich sie darum, doch bitte das Haus wieder zu verlassen. Die sollten mir nicht wieder unter die Augen treten, beschloss ich voller Zorn. Wieso beauftragten eine Eltern so ein dummes Idiotenpack damit, mich zu belästigen? Was sollte denn das schon wieder?
Als wir eines Tages nach einem Spaziergang im Park zu seinem Auto zurückkehrten, saß dort plötzlich ein Junge hinter dem Steuer, neben sich auf dem Beifahrersitz eine hübsche junge Dame. Hatten wir etwa vergessen, die Autotür abzuschließen? Trotzdem: Was fiel denen denn ein, sich einfach dort hineinzusetzen? Als sei es völlig in Ordnung, wenn sich Fremde seines Autos bemächtigten, blieb er bei diesem Anblick ruhig und gelassen. Hatte ich etwas verpasst? Sich Umgangsformen und Gesetze in der Zwischenzeit geändert? Durfte man sich auf einmal in fremde, anderer Leute Autos setzen? Welch ein Paradies für alle Landstreicher dieser Welt! Nein, das konnte nicht sein. Etwas irritiert schaute ich ihn an. Er sagte:
<< Das ist nicht meiner! >>
Huh, wo war jetzt der Zusammanhang? Wovon sprach er? Natürlich war das sein Wagen, schließlich hatten wir ihn vor einer halben Stunde dort abgestellt! Dann verjagte er die beiden. In etwa so, wie man ein lästiges Insekt mit einer wütenden Handbewegung verscheucht. Kusch! Hinfort! Die Frau und der Junge stiegen aus und gingen. Ich fragte ihn :
<< Ja, was war denn das? >>
<< Was? >>
<< Na, diese Personen! In deinem Wagen! Da eben. >>
<< Ach das! Na, mach dir mal keine Gedanken. >>
<< Häh? Worüber denn? >>
<< Das ist eine Verrückte. Die mich dauernd verfolgt und mir auflauert. Die nervt echt total! >>
<< Echt? Aber warum tut sie das? >>
<< Sie ist halt verrückt? >>
<< Oh. >>
Armer Kerl. Wurde von einer Verrückten verfolgt.
<< Ja, ich weiß auch nicht, warum sie das macht. Weißt du, wir waren mal eine Zeit lang zusammen, aber das ist schon lange vorbei. Seitdem verfolgt sie mich. >>
Ah, da kamen wir der Sache allmählich näher. Ich grübelte vor mich hin. Das war allerdings schon ein Problem, wenn auch nicht meines.
<< Wie lange seid ihr denn schon nicht mehr zusammen? >>
<< Ja, ich suche schon seit einiger Zeit eine Wohnung, das hat bisher nur noch nicht geklappt. >>
Unterhaltungen waren ein schwieriges Terrain. Was hatte das denn mit meiner Frage zu tun?
<< Häh? Wie, warum suchst du eine Wohnung? Wie lange seit ihr denn schon auseinander, dass sie dir immernoch hinterher läuft? >>
<< Och schon länger. Es war immer schwierig, ein ewiges Hin und Her. Mal haben wir uns getrennt, dann waren wir wieder zusammen, wie das so ist. Wir sind schon lange kein Paar mehr, aber sie will das einfach nicht kapieren. Deswegen suche ich schon seit einiger Zeit eine eigene Wohnung. >>
<< Achso.. >>
Wieso hatte er mir das alles erst jetzt erzählt. Mann, ey.
<< Sie möchte es einfach nicht akzeptieren, das ich mich von ihr getrennt habe, deshalb verfolgt sie mich dauernd. >>
Diese Sache kratzte an meinem Vertrauen, welches ich bis zu dem Zeitpunkt zu ihm gehabt hatte.
Trotzdem kam erst gar nicht auf die Idee, dass er mich belügen würde können. Ein und eins zusammen zu zählen, ist mir schon immer ein bisschen schwer gefallen. Vielleicht lag es auch ein bisschen daran, dass man selbst dann, wenn man es wirklich besser wissen sollte, die Wahrheit, wenn man verliebt ist, einfach gar nicht erst sehen will. In meinem Fall handelte es sich vor allen Dingen meine überaus große Naivität und Dummheit. Sonst hätte ich mir wahrscheinlich Gedanken gemacht. Ich war mir immer noch nicht darüber im Klaren, warum Menschen einander belügen müssen und brachte nicht ausreichend Erfahrungshorizont mit, ermessen zu können, wie viele meiner Artgenossen es offenbar nötigt, sich ihre Realität zum Zweck der persönlichen Vorteilsicherung wie ein glühendes Eisen zurecht zu klopfen. Vielmehr ging ich (dabei von mir selbst auf andere schließend) ganz automatisch davon aus, dass es meinen Mitmenschen ebenso fern lag wie mir, sich unaufrichtig zu verhalten. Wozu hätte er mich belügen sollen? Mehrere Beziehungspartner auf einmal brauchte ja schließlich keiner, wozu auch? Es gab einfach keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln.
Nach wie vor hielt ich mich die meiste Zeit beim Medizinmann auf.5 Auch mein Brüderchen wohnte zwischenzeitlich bei ihm. Die Thekenwirtschaft, welche dort herrschte, machte sein Haus zum einen idealen Treffpunkt für Jedermann. Diese ganze Sauferei hing mir bald zum Hals heraus. Spätestens nach zwei Wochen zum Frühstück Bier, zu Mittag Bier und zum Abendessen Weinbrand verliert die Sache irgendwann ihren Reiz. Dann hat man als Nicht-Alkoholiker die Schnauze voll. Es war eher so, dass man schon besoffen sein musste, um die Situation überhaupt ertragen zu können! Auch andere (wenn auch offiziell legale) Drogen wurden konsumiert. Der Medizinmann verkaufte das ihm von Arzt verschriebene Valoron an Interessierte, Sternie erlag dramatisch einer Tramaal und Telefonsex-Sucht. Man tauschte Medikamente gegen Geld, Geld gegen Alkohol.
Eines Tages trank ich mal wieder einen mit. Es gab Whisky. Damit schoss ich mich derart ab, dass man mich ins Bett tragen musste. Da die ganze Bargage mittlerweile in die direkte Nachbarschaft von Mike um gezogen war, erfuhr sein Bruder direkt alles. Schnell wie der Blitz kam er angesaust, küsste mich aber diesmal nicht zur Begrüßung, sondern forderte mich dazu auf, meine sieben Sachen zu packen. Hauptsache, er war da. Dann war ich glücklich. Aber dass er mich dazu aufforderte, meine Sachen mitzunehmen...? Aufgeregt gehorchte ich. Wir fuhren zu ihm nach Hause, zu seiner Familie. Ob die wohl überhaupt damit einverstanden waren? Hmm..., naja, wenn er mich dorthin mitnahm, hatte er das sicherlich zuvor auch abgesprochen.
Komischerweise teilten die beiden sich, obwohl sie seinen Worten nach angeblich schon so lange geschiedene Leute sein sollten, nicht nur die Wohnung. Sie schliefen sogar in ein und demselben Raum, in einem Ehebett! Ich wiederum auf dem Sofa. Ich brauchte ein paar Tage, bevor mir aufging, dass an diesem Bild etwas nicht stimmte: Eines Abends küssten wir uns. Sie kam ins Zimmer. Hektisch zuckte er zurück. Sie bekam einen Kreisch-Anfall. Er faselte sich eine Erklärung zusammen:
<< Das war ein Gute Nacht Kuss. Was regst du dich denn deswegen so auf? >>
Ich kicherte. Was redete er denn da? Ein "Gute Nacht Kuss"? Mit der Zunge? Das konnte er nicht ernst meinen. Streitend verließen die beiden den Raum und überließen mich mir selbst. Was sollte das denn gerade gewesen sein? Es hatte zwischen uns eine ganze Reihe Intimitäten gegeben, was ganz und gar unzweideutig über einen normalen Umgang miteinander hinausging.6 Seine dauernden Unehrlichkeiten verärgernten mich. Auch, dass er sie anscheinend genauso belog wie mich, fiel mir bei der Gelegenheit auf.
Am nächsten Tag saß ich plötzlich wieder auf der Straße. Logisch! Naja, eigentlich saß ich bloß im Auto.7 Mein fürsorglicher Vater hatte mir mal wieder eins gekauft, welches ich mittlerweile als eine Art zu Hause betrachtete, so oft, wie ich darin übernachtete. Obendrein bekam ich regelmäßig ein kleines Taschengeld von ihm, welches ich (gleichzeitig dankbar und wütend darüber, auf seine Almosen angewiesen zu sein) annahm. Meine diesbezüglich gemischten Gefühle brachten mich zum Nachdenken.
Ich begann, eine ganze Reihe von Bewerbungen zu schreiben und zu verschicken, bewarb ich mich um einen Ausbildungsplatz als KFZ-Mechanikerin. Der absolute Traumberuf: ... Ob ich mich nun mit Putz oder Motoröl bekleckerte, war ganz egal. Kleckern war einfach wundervoll. Leider wurde ich nur ein einziges Mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen (und das anscheinend auch nur, um mich dafür auszulachen, dass ich einen solchen Beruf erlernen wollte):
<< Du kannst doch nicht einmal einen Reifen wechseln! >> wurde mir vorgeworfen.
Hallo?
<< Gebt mir einen Reifen! Dann zeige ich Euch, wie man ihn wechselt! >>
Vermutlich unterschätzten sie ich. Ich sah aus wie ein Hänfling. Das war schon ein Manko.
<< Ah, das ist doch lächerlich. Komm. Raus hier. Verschwinde. >>
Na, Super. Wozu hatten die mich eigentlich eingeladen?
Die einzige Stelle, an der ich korrekt behandelt wurde, war bei Mercedes. Dort hatte ich allerdings sieben männliche Mitbewerber, gegen die ich mich beim Einstellungstest nicht durchzusetzen vermochte. Ich war viel zu nervös und: konnte mich nicht konzentrieren.
Nachdem ich bei ihm und seiner Hauselfe wegen unziemlichen Gute-nacht-Herumgeknutsche in Ungnade gefallen war, übernachtete ich für ein paar Tage auf dem nahe gelegenen Campingplatz - wo er mich besuchen kam. Auf meine Frage, wie es weitergehen würde, bekam ich nur ausweichende Antworten, was mich unheimlich frustrierte. Als wenn das, was er bisher an Verwirrung gestiftet hatte, nicht schon genug gewesen wäre! Diesen gordischen Knoten zu entwirren erschien mir zu kompliziert. Sein Verhalten machte mich aggressiv. Ich grübelte und grübelte, kam aber trotzdem zu keinem brachbaren Ergebnis. Alles war so, wie es auch sein sollte: Dass mich jemand berühren und ich das ohne Ekel und Schmerz zulassen konnte...8 bedeutete mir sehr, sehr viel. Meinem Gefühl nach war das, was ich tat, genau das Richtige. Aber: Wenn er doch dasselbe für mich empfand, wieso war er denn dann nicht hier, bei mir? Wieso war ich in dem Moment, als ich endlich jemanden lieben konnte, damit allein? Das konnte nicht richtig sein. Warum war das Leben immer so kompliziert? Error, meldete mein gehorsam qualmender Kopf tagein, tagaus vor sich hin.
Eines Tages kam er zu mir und verlangte plötzlich, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihm aufnehmen würde. Gut. Auch, wenn es mich unendlich traurig machte: ich gehorchte. So traurig, wie ich war, fand ich kaum noch Kraft dazu, mich um mich selbst zu kümmern. Deshalb zog es mich wieder in den Wald zurück. Bevor ich diesen Schmerz nicht verkraftet hatte, war ich nicht dazu in der Lage, irgendwelche Entscheidungen treffen. Statt dessen besuchte ich mal wieder ein paar ganz alte Freunde, die mich zu sich eingeladen hatten. Vielleicht würde es mich ja ein wenig aufheitern, meine Gefährten aus der Kindheit wiederzutreffen.
Wir trafen uns bei Frau Hektik im Garten. Trotz der so netten Gesellschaft kam ich mir unheimlich verloren vor. Damit schien ich gar nicht in diese fröhliche Runde hineinzupassen, weshalb ich mich verabschiedete und entschuldigte. Es zog mich in mein Zuhause, meinen Wald. Auf dem Weg dorthin blieb ich mit meinem Auto ohne Sprit liegen, als er plötzlich an mir vorbeifuhr. Selbstverständlich hielt er sofort an und legte den Rückwartsgang ein, als er mich erspähte. Wir hatten uns schon ein paar Tage nicht gesehen. Er war bereits die naheliegenden Wälder abgefahren, um mich zu suchen, was ich gesprürt hatte. Nun hatte er mich gefunden. Neben ihm auf dem Beifahrersitz saß9 seine Elfe. Als er zu mir an den Wagen kam, rannte er beinahe.
<< Da bist du ja! >>
... Schweigen ... Aufregung ... Lähmung...
Was sollte jetzt schon wieder kommen?
<< Wo warst du nur die ganze Zeit! Ich habe dich wie verrückt gesucht! >>
Er hatte mir doch gesagt, dass wir uns nicht wiedersehen sollten! Ich hielt mich an solche Befehle. Sollte er aufpassen, was er zu mir sagte.
Ich erwiderte nichts. Die Frage, was seine Elfe wohl dazu sagen würde, keimte in mir auf. Sicher litt sie unter der Situation. Ich sah zu ihr hin. Sie saß im Auto und wartete. Sollte ich ihn dazu auffordern, zu ihr zu gehen, um sich zu entschuldigen? Für das, was er ihr antat? Und mir? Und sich selbst? Und seinem Kind?
<< Ich liebe dich. Ich kann ohne dich nicht leben >> sagte er.
Bäng, Bauchexplosion - Error.
Zunächst begleitete er mich wieder auf den Campingplatz. Fragte mich unverhofft, ob ich seine Frau werden wolle. Ich sah ihn nur sprachlos an. Natürlich wollte ich das, ja!! Am liebsten schon gestern! Nein! Vorgestern! Dann ließ er mich allein zurück. Ich wartete. Und wartete. Schlief, und wartete weiter. Später fuhr ich zu seinem Zuhause, um ihn dort aufzusuchen. Über mein Erscheinen sehr ungehalten, sagte er aggressiv:
<< Du weißt doch ganz genau, dass du nicht hierher kommen darfst! >>
Die möglichen Antworten: "Gestern hörte sich das aber noch ganz anders an" und das "Nein, woher sollte ich das denn wissen?" blieben mir im Hals stecken.
Was war denn auf einmal in ihn gefahren? Scheinbar lag hier ein Missverständnis vor.
Ich zog mich wieder auf den Campingplatz zurück, saß in meinem Auto herum, das ich auf dem Parkplatz abgestellt hatte. Bis dahin hatte ich es gerade eben noch geschafft. Zu meinem Zelt nicht mehr. Dort saß ich nun, unfähig, mich zu bewegen. Langsam aber sicher wurde es dunkel. Die Nacht brach herein. Ich saß immer noch da. Irgendwann kurz vor Mitternacht fing das Begreifen an. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er mich verschaukelt. Mir wurde klar: Solang diese Frau in seinem Leben existierte, würde ich niemals an ihn herankommen. Das Vernünftigste wäre, das endlich einzusehen. Was aber noch viel schlimmer war als das, war die Frage: Hatte er mich die ganze Zeit über belogen? Konnte das wirklich sein? Hatte er bloß mit mir gespielt? Verzweifelt saß ich die ganze Nacht über in meinem Auto. Es tat sehr weh. Unerbittlich fraß sich der Schmerz durch meine Eingeweide.
Wütend10 machte ich mich am nächsten Morgen dann doch noch (wenn auch mit einer recht großen zeitlichen Verzögerung) so, wie ursprünglich geplant, auf den Weg nach Köln. Die Situation hier war ja nicht zum aushalten! Ich musste da raus. Mit 50 Mark in der Tasche, von welchen ich mir eine Knolle Kohlrabi zum Frühstück kaufte, machte ich mich auf den Weg in meinen Neuanfang. Eine Fahrt ohne Rückfahrkarte? Der Sprit würde an die plusminus 25,- kosten. In dem Moment wollte ich einfach nur noch weg. Raus aus der mich in ihr so schrecklich demütigenden, quälenden Situation. Der Kohlrabi gab mir ein wenig Halt. Immer wenn es mir schlecht ging, vergaß ich, regelmäßige Mahlzeiten zu mir zu nehmen. Deshalb war es wichtig, dafür zu sorgen, dass mir das jetzt nicht passierte. Sonst klappte ich nachher irgendwann zusammen. Ich mampfte ihn einfach mitsamt seiner Schale. Scheiß drauf.
Langsam ging die Sonne auf, ein neuer, brennend heißer Sommertag stand in seinen Startlöchern. Zuverlässig brachte mich mein Golf 1 bis nach Recklinghausen, wo mir erst Mal der Sprit ausging und ich mich fluchend zu Fuß durch die brüllende Hitze auf den Weg zur fünf Kilometer entfernt gelegenen Raststätte machen musste.11 Also: Warndreieck aufgestellt und los. Zurückgelatscht und weiter, bis zu meinem Zielort. Zuerst führte mein Weg mich zur Wagenburg an der Krefelderstraße. Dort sah ich mich nur kurz um und stellte fest, dass sich vieles verändert hatte. Zum Beispiel kannte ich keine der dort anwesenden Personen. Entweder waren meine früheren Bekannten alle im Augenblick gerade nicht vor Ort oder wohnten inzwischen längst woanders. Erschöpft und genervt von der Fahrt war ich viel mehr darauf aus, mich irgendwo auszuruhen, als jetzt noch neue Leute kennenlernen zu müssen. Also fuhr ich wieder los: zu meiner Mama. Zumindest so lange, bis ich etwas Eigenes organisiert hatte, würde ich bei ihr übernachten.
Mich mit dem Auto in Köln zurechtfinden zu wollen, erwies sich als eine wirklich blöde Idee. Dort ist man zu Fuß oder dem Fahrrad, ja, selbst mit Bus und Bahn12 immer noch besser unterwegs als mit dem Auto. Die Kölner Straßenführung ist ein regelrechter Alptraum. Obendrein hatte ich, weil ich so müde war, plötzlich sowohl ihre Telefonnummer als auch Adresse nicht mehr im Kopf. Sonst hätte ich mich zur Not auch noch durchfragen können. Das war alles gar nicht gut. Normalerweise ist zu wenig Schlaf so etwas, was einen eh schon unkonzentriert werden lassen kann. Dazu kam die extrem hohe Temperatur.
Eigentlich mag ich es auch, wenn Dinge übersichtlich sind, das Gefühl der Ordnung gibt mir Sicherheit. Aber sowohl meine Lebenssituation als auch die Kölner Verkehrssituation waren gerade extrem unübersichtlich. Der Gedanke, ich sei hier augenblicklich nicht so gut aufgehoben, sprang mich an. Ich brauchte endlich einen ruhigen, sicheren Rückzugsort. Den ganzen Tag saß ich nun schon in diesem ekelhaft brühwarmen Auto. Obendrein kamen mir auch langsam die ersten Zweifel, ob ich meinen Liebsten nicht etwas zu voreilig sitzen hatte lassen. Da war ich schon das erste Mal in meinem Leben so richtig verliebt und dann machte ich so etwas? Einfach fortgehen? Vielleicht brauchte er ja nur ein wenig mehr Zeit, um seine familiäre Situation für alle Beteiligten zufriedenstellend zu klären? War ich zu fordernd, zu ungeduldig gewesen? Mit diesem Gedanken machte ich mich kurz entschlossen auf den Rückweg.
Äöhja, so fast. Zuerst fuhr ich in eine falsche Richtung, Richtung Aachen/Bonn, auf einen falschen Autobahnzubringer.13 Ganz in Gedanken versunken fuhr ich sogar erst sogar noch ein Stückchen weiter, bevor mir mein Fehler bewusst wurde.14 Außerdem, so bemerkte ich genervt, ging meinem Auto gerade auch mal wieder der Sprit zur Neige. Dieses Mal registrierte ich das gefährliche Absinken der Tanknadel aber zum Glück noch rechtzeitig. Ich fuhr also noch ein Stückchen weiter, um, bevor ich wenden würde, erst einmal zu tanken. Ohne Moos nix los, ohne Sprit kein Grib! Die Tankstellen direkt an der Autobahn waren mir zu teuer. Und natürlich, wie absolut ätzend, gab es im nächstgelegenen Kuhdorf keine einzige willige Zapfsäule..., weshalb ich kurzerhand entschied, zum Rastplatz zurück zu fahren. Bevor ich die Autobahn verlassen hatte, war ich an einem vorbei gekommen, aber zu geizig gewesen, mich dort zu bedienen. Bevor ich jedoch wieder mit trocken gefahrenem Tank auf dem Standstreifen strandete, erschien mir das teurere Benzin als das kleinere Übel. Ich schaffte es noch genau bis dorthin, mit ratzekahl-leer gefahrenem Tank. Die letzten Meter konnte ich, Gott sei Dank, aufgrund der abschüssigen Fahrbahn rollen. Außerordentlich dankbar dafür, es bis dorthin ohne aufopfernde Benzin-hinterher-Pilgerei geschafft zu haben, parkte ich an einer der Zapfsäulen und tankte.
Shit! Auf einmal hatte ich nicht mehr genügend Geld im Portmonee, um den ganzen Spaß zu bezahlen. Es fehlte nicht viel (etwa drei Mark). Ich ging hinein und erklärte dort verständlich, leise und höflich die missliche Lage, in der ich mich befand. Der schüchterne, aber freundliche Tankwart gab sich überfordert, rief seinen Chef herbei. Der wiederum sofort anfing, wie ein Irrer herumzubrüllen. Und was ihm nicht alles einfiel! Wie ich denn "überhaupt aussehen" würde, etc., etc. :
<< Jaa, solche Leute kenn´ma, ja, dassSSS haben wir gerne! >>, schimpfte er.
Das alles sei gar kein Problem: Ich könnte ihm beispielsweise meinen Ausweis als Sicherheit für die Erfüllung des Versprechens anbieten, die Rechnung nachträglich bezahlen zu kommen.
<< Ja ja, und womit wollen Sie sich dann ausweisen? >> bellte er, als wäre dieser Vorschlag ein (eindeutig an ihm) begangenes, schweres Verbrechen.
Ich hatte sogar meinen Reisepass dabei, wo war das Problem? Am nächsten Tag mit dem fehlenden Geld wiederzukommen, wäre zwar umständlich, aber möglich. Er blieb stur. Selbst wenn das nicht ginge, führte ich weiter aus, hätte ich viele Freunde und sogar Verwandte, die mir wahrscheinlich sofort aus der Patsche helfen würden, falls ich jemanden telefonisch erreichte. Ich sah mich um: gab es hier irgendwo einen Telefonapparat? Aber von diesem werten Herren bekam ich einen Gegenwind verpasst, der sich gewaschen hatte. Er wollte unbedingt soviel Stress wie nur irgend möglich aus der Situation herauspressen.
POLIZEI, POLIZEI, wir brauchen unbedingt die POLIZEI!
Angesichts soviel Unvermögen, diese Situation normal und vor allem stressfrei zu meistern, platze mir echt fast der Kragen. Diesen Hirni ertrug ich keine Sekunde länger. Schimpfwörter vor mich hin murmelnd kündigte ich an, in diesem Fall draußen zu warten. Vor Entrüstung tief atmend stapfte ich raus zu meinem Wagen. Um nicht die andern Kunden an der Zapfsäule beim Tanken zu behindern, beförderte ich ihn zu einem gegenüberliegenden Parkplatz. Was für ein Theater. Ja, nur das können sie (diese Spießer!, regte ich mich auf)15: völlig ohne Grund die Polizei herbei zitieren. Als wenn unsere Ordnungshüter nichts Besseres zu tun hätten! Im Umgang mit der Polizei hatte ich noch nie irgendwelche schlechten Erfahrungen gemacht, so dass das für mich eine, zugegeben, zwar umständliche, aber doch immerhin akzeptable Lösung erschien. Auch, wenn ich deswegen nun unnütze Zeit vertrödelte: Wenn dieser idiotische Tankstellenpächter den Streit um die drei Mark nicht beizulegen bereit - mir nicht auch nur für einen Moment lang zuzuhören in der Lage war, blieb nichts anderes übrig, als mich mit der Situation zu arrangieren.
Der Rastplatz war überfüllt mit tausenden von Leuten, die wie Ameisen geschäftig in diese und jene Richtung rannten. Ein Gedanke stieg in mir auf: Auszusteigen und irgendjemanden dazu zu bringen, mir ein paar Mark zuzustecken, damit ich hier nicht noch länger fest saß. Die paar Kröten sollte ich schnell zusammen bekommen. Es würde mich bestimmt keine zwei Minuten kosten. Den Vorgang des Bettelns kannte ich ja schon von meinen Punker Kollegen. Das sollte also nicht so schwer sein. Dieser Gedanke wurde aber in genau dem Moment hinfällig, als ich die kleine, dickliche Gestalt des Tankwarts im Rückspiegel erspähte.
Während ich in meinem Auto auf dem Parkplatz neben der Tankstelle auf das Eintreffen der Polizei wartete, baute sich dieser Typ zu allem Überfluss noch innerhalb von ein paar Metern Abstand hinter meinem Auto auf, um mich zu beobachten. Ich fing an, rot zu sehen - ein Wutanfall löste den anderen ab. Das war sicher so einer, der mich strengen Blickes auf dem Fuße verfolgt und bewacht hätte. Vielleicht würde er in seinem verqueren Zustand sogar auch noch auf den Gedanken kommen, mich dabei in einer Tour wüst zu beschimpfen. Das würde nicht hinhauen. Ich musste entspannt sein, sonst könnte ich auch nicht entspannt auf anderen Menschen zu gehen. Ginge ich unentspannt auf Menschen zu, würden sie bloß verstört das Weite suchen. Also gab ich die Idee wieder auf.
Sollte ich meine Mutter anrufen? Eine Telefonzelle hatte ich mittlerweile entdeckt: sie befand sich direkt an den Mauern des Kassehäuschens. Aber auch jetzt fiel mir ihre Telefonnummer partout nicht mehr ein. Warum gerade in diesem Moment? Sonst erinnerte ich doch immer alles! Aber gut, das ließ sich nun auch nicht ändern. Während ich noch über das alles nachdachte, kam ein Streifenwagen. Man hielt ein kurzes Stelldichein mit dem Tankstellenhaini ab. Der sollte endlich abhauen! Hanswurst! Vermaledeites, blödes Arschgesicht! Ich war total aggressiv. Ihm noch mal zu begegnen verspürte ich keine Lust.
Ein paar Mal sah das Grüppchen besorgt in meine Richtung. Sie machten aber keine Anstalten, zu mir rüber zu kommen. Wie lange dauerte denn das?! Als ich schon überlegte, ob ich vielleicht einfach selbst zu ihnen hingehen sollte, stand plötzlich einer der Beamten vor dem Auto und sah durch die Fensterscheibe zu mir hinein. Huch, wo kam der denn auf einmal her? Schnell kurbelte ich die Fensterscheibe herunter.
<< Was ist denn mit Ihnen los? >> fragte er entgeistert, fast so, als sei ich das Problem.
Immer noch ziemlich aufgebracht erwiderte ich:
<< Wie, was, mit mir?? Fragen sie lieber mal den da vorne, was mit ihm los ist! >>
Im Ernst. Der hatte se doch echt nicht mehr alle, der Typ! Bevor ich jedoch weiter ausholen konnte, die Sachlage zu erklären, war der nette Herr Beamte auch schon wieder verschwunden. Hatte ich ihn, ohne das gewollt zu haben, verschreckt? Oh, wie blöd. Er konnte ja auch nichts dafür. Ich sah mich um, wollte mich entschuldigen. Da er aber nicht mehr in Reichweite war und auch nicht zurückkam, um die mit mir begonnene Unterhaltung zu Ende zu führen, stieg ich aus und ging zu der kleinen, derweil auch noch ohne mich munter weiter herum diskutierenden Gesellschaft hin. Auf meine Anwesenheit reagierte keiner. In Ermangelung einer anderen Sinn stiftenden Tätigkeit kramte ich schon einmal prophylaktisch meine Personalien heraus.
Mit einem Mal tauchten zwei weitere Streifenwagen und, als würde das noch nicht reichen, auch noch zwei große Krankenwagen auf, die alle in einem netten Halbkreis um uns herum parkten. Neugierig fragte ich mich, was wohl passiert war. Bekam vielleicht irgendwer ein Kind? Wie aufregend... Aufmerksam sah ich mich um. Schließlich kann es keinen Schaulustigen geben ohne das obligatorisch dazu gehörige Schauspiel - also auch nicht gleich mehrere Kranken,- und Streifenwagen ohne dazugehörigen Unfall und Verletze. Also, wo war es, das Unglück? Ich konnte es nicht entdecken.
Die Männer in den weißen Kitteln hatten es nicht eilig. Sie rannten nirgendwo geschäftig hin, um vermeintliche Verletzte zu versorgen, sondern verteilten sich bloß gleichmäßig im Kreis um uns herum. Das passte nicht ins Bild eines Rettungshelfers am Unfallort. Was ging hier ab? Das Rätsel wurde nicht gelöst. Man schien einfach nur gerne herumzustehen. Ich wandte mich also wieder meinem eigenen Problem und den Polizeibeamten zu, die Mr. Arschloch so übereifrig herbestellt. Als ich mit meinem Personalausweis wie mit einer Fahne hin und her winkte und noch einmal wieder versuchte, die Aufmerksamkeit zu erlangen:
<< Haaaallo, Haaaalllloo! Wollen Sie denn nicht endlich meine Personalien aufnehmen? >> wurde ich ignoriert.
Vielleicht hatten sie gerade zu viel zu tun? Wahrscheinlich war ich nicht wichtig genug. Höflich wartete ich ab.
Das alles ging mir gehörig auf die Nerven. Irgendwann wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit mir dann doch noch mal zu. Endlich. Nun wurden mir ein paar Fragen gestellt, auf die ich zunächst, außerordentlich dankbar dafür, dass jetzt endlich mal einer mit mir sprach, hochmotiviert antworten wollte. Aber das, was die hier durchzogen, schien von dem allgemein üblichen Prozedere abzuweichen. Nicht, dass ich meinen Personalausweis vorzeigen sollte. Den hatte ich ja bereits in der Hand, denn das war ja sonst immer das erste, was die Ordnungshüter bei irgendwelchen Kontrollen von einem haben wollen. Auch mein Bemühen um eine Lösung des ursprünglichen Problems (die drei Mark) wurde geflissentlich ignoriert. Statt dessen stellten die so sau-komische Fragen wie zB.:
<< Welcher Tag ist heute >>
Was spielte das denn jetzt für eine Rolle? Und die nächste Frage: Wollten die jetzt das Datum wissen oder den Wochentag? Und warum wussten sie das nicht selbst? Warum wollte sie das von mir wissen? Wusste ich es? Aeh. Was war heute noch für ein Tag? AH! Das war doch alles albern, was stellten die denn für komische Fragen? Der übliche Kuddelmuddelknoten im Gehirn ließ mich ein paar Satzfetzen vor mir hin stammeln. Da kam schon die nächste Frage:
<< Wie heißen denn ihre Eltern. >>
Was hatten denn meine Eltern damit zu tun? War es nicht viel wichtiger, wie ich hieß? Warum wollten die das denn nicht wissen? Hatten meine Eltern oder ich die Zeche nicht bezahlt! Die waren aber komisch drauf.
<< Wann sind ihre Eltern geboren. >>
Wollten die jetzt etwa mit meinen Eltern Geburtstag feiern? Was für ein Unsinn! Was hatte das denn bitteschön mit der Situation zu tun? Ich antwortete gar nicht erst. Das alles verwirrte mich sehr. Ich stotterte nur noch herum. Statt brav darauf zu antworten, war das Erste, was mir einfiel, selbst Fragen zu stellen:
<< Was sind das für komische Fragen, die sie da stellen, und wieso interessiert sie das überhaupt? >>
<< Nun antworten Sie schon >> drängelte der Polyp.
Als ich daraufhin nur den Kopf schüttelte und nichts mehr sagte, animierte das mein Gegenüber zu einem ein Nicken, mit welchem er sich aus für mich unerfindlichen Gründen selbst etwas zu bestätigen schien. Sie tuschelten.
Neugierig fragte ich:
<< Haben sie die vielen Krankenwagen gesehen? Was wohl hier los ist? >>
Diese vielen Personen standen immer noch herum, als hätten sie sich eigens dazu verabredet.
Auch auf diese Frage erhielt ich keine zufriedenstellende Antwort. Es kam nur so ein abwimmelndes Gebrummel in meine Richtung zustande. Wie unhöflich sie waren. Man gab sich beschäftigt, war wichtig, weshalb ich wieder damit aufhörte, selbst Fragen zu fragen. Diese Männer schienen an mir und den fehlenden Tankstellengeldern gar nicht interessiert. Irgendetwas hatte ihre Aufmerksamkeit abseits davon voll und ganz in ihren Bann gezogen. Verdammt nochmal! Warum sollte ich meine Zeit damit vertrödeln, hier weiter herumzustehen? Konnte mir vielleicht endlich mal jemand helfen, diese verdammte Situation aufzuklären? Das sollte doch irgendwie möglich sein!
Vielleicht hatten sie erst eine wichtigere Aufgabe zu lösen, hinter der ich mit meinen mickrigen Bedürfnissen bis auf Weiteres würde zurückstehen müssen. Schließlich hatte ich ja auch kein wirklich weltbewegendes, sondern nur ein 3-Marks-Problem, an welchem keiner sterben würde, wenn es nicht sofort gelöst werden könnte. Einfach so abhauen durfte ich nun leider auch nicht, das hätte Diebstahl bedeutet. Was um alles in der Welt wohl passiert war, dass so eine Veranstaltung dafür tagte? Man sprach immer noch nicht mit mir. Deshalb stand ich wie eine nach dem Kasperletheater an ihren Schnüren aufgehängte Marionette herum und wartete darauf, was als nächstes passieren würde. Einer der weißen Kittel, die gemeinsam mit den Streifenwagen angekommen waren, sagte:
<< Sie sollten jetzt erst mal mitkommen. Das wäre besser für Sie >>
Ich antwortete:
<< Okay... Kein Problem. >>
Ich fragte gar nicht erst, wohin wir fuhren (ein Fehler), sondern stieg einfach nur vertrauensvoll in die Ambulanz (gleich der Zweite in kurzer Folge). Ich nahm an, dass wir nun unterwegs seien zur Polizeiwache. Als wir dann los fuhren, wurde ich mir eines mulmigen Gefühls in der Magengegend bewusst, das immer stärker wurde. Da stimmte doch etwas nicht! Was war los? Ich analysierte die Daten: ich saß nicht in einem polizeilichen Dienstfahrzeug, sondern in einer Ambulanz - wo fuhren wir damit hin?
Klar, die beiden Institutionen arbeiten eng zusammen, haben sogar dieselbe Telefonnummer, aber trotzdem saß ich nicht in einem polizeilichen Dienstfahrzeug, sondern in einer Ambulanz. Das war unlogisch! Als ich versuchte, zwecks eines Informationsaustausches über diese Frage einen Kontakt mit den beiden Fahrern herzustellen, rief daraufhin der eine dem anderen nur etwas zu,16 was ich aufgrund des lauten Fahrgeräusches nicht richtig verstand. Dieser fing an, ganz schäbig zu lachen. Ich empfand die Situation langsam nicht mehr bloß als verwirrend, sondern auch als in zunehmendem Ausmaß als bedrohlich. Die Hoffnung, von irgendwem überhaupt noch eine ganz normale Antwort zu bekommen, betrachtete ich in diesem Moment als verloren.
1 (am liebsten hätte ich ihn sofort rausgeworfen)
2 (warum müssen Männer eigentlich immer mit ihren Autos angeben?)
3 (wir sollten unseren Weg in fast jede Absteige in der Gegend finden - was nicht so ganz billig gewesen sein kann)
4 (hier sollte ein deutlich längerer Vortrag erfolgen, dass es nicht in Ordnung war, auf diese Art in fremde Häuser einzudringen - welche Art von empfindlichen Strafen darauf folgten, wenn ich ich nicht viel zu überfordert gewesen wäre, einen solchen zu halte.)
5 (obwohl ich bald mein altes Hobby wieder aufnahm und mich in die Natur zurückzog)
6 (was übrigens von dem bei mir sonst üblichen Schema abwich: seine Berührungen waren mir nicht unangenehm. Er kritisierte jedoch immer wieder meinen Mangel an Teilnahme: Ich erstarrte, bewegte mich dann minutenlang überhaupt nicht mehr, woraufhin er dann jedes Mal zu schimpfen anfing. Ich schämte mich sehr dafür, dass ich nicht richtig funktionierte)
7 (also genau genommen ein paar Zentimeter über der Straße)
8 (selbst bei meinem allerersten Freund in der Schulzeit war das für mich ein Problem gewesen, obwohl ich ihn sehr gern gehabt hatte)
9 (nun ordentlich Schaum-schiebend)
10 (und ohne in dieser Nacht zum Schlafen gekommen zu sein)
11 (bis ich mir angewöhnt habe, besser auf die Tankanzeige zu achten, passierte das häufiger)
12 (ich war schon als Kind lieber die paar Kilometer zur Schule mit dem Rad gefahren, sogar im Winter => weniger Menschen!)
13 (der klassische Fehler am Bonner Verteiler. Das ist so manch einem anderen auch schon passiert, wie ich später zu hören bekam, als ich die Geschichte erzählte. "Jaaaja, der Bonner Verteiler...", nickt der Kenner kichernd an dieser Stelle in meiner Geschichte)
14 (wir befinden uns im Zeitalter vor dem Navigationssystem)
15 (bloß weil jemand das Äußere eines anderen Menschen nicht passt!)
16(ich glaube, er hat mich nachgeäfft - was ich auch nicht einordnen (v.a. nicht glauben) konnte)